Jeder Corona-Todesfall hat seine eigene Geschichte. Mit einer eigenen Tragik und seiner eigenen Traurigkeit. Jeder Todesfall geht aber auch in eine Statistik ein. Die erzählt zwar nichts von der tragischen Geschichte, wohl aber von dem gesellschaftlichen und historischen Kontext, in den der Tod eingebettet ist.
Sterbefallzahlen und die dazugehörigen Statistiken sind eine der ältesten Zahlen, die der Mensch über seine Gesellschaften erhebt. Nun sind die vorläufigen Todeszahlen für 2020 veröffentlicht worden. Sie zeigen: Seit Oktober erlebt Deutschland einen deutlichen Anstieg der Todesfallzahlen im langjährigen Vergleich. Corona gehört nun eindeutig zu den häufigsten Todesursachen. Vergleicht man sie mit den häufigsten anderen Todesursachen von 2019, zeigt sich: Das Virus liegt inzwischen auf Platz acht.
Die Sterbefallstatistik gilt als vorläufig, da manche Todesfälle oft erst mit einer zeitlichen Verzögerung gemeldet werden. Die Todeszahlen, die bislang für das Jahr 2020 vorliegen, konnten vom Statistischen Bundesamt noch keiner Vollständigkeitsprüfung unterzogen werden. Für die Zahlen der Menschen, die im Zusammenhang mit dem Coronavirus gestorben sind, kommt hinzu: Keiner weiß, wie hoch die Dunkelziffer derjenigen ist, die tatsächlich Corona hatten. Die Statistik nimmt nur Menschen mit einem bestätigten positiven Testergebnis auf. Trotz dieser Einschränkungen ist ein Blick auf die Zahlen hilfreich, um das Ausmaß der Pandemie einzuordnen.
Trotz Lockdowns und Kontaktbeschränkung sind in Deutschland seit Beginn der Pandemie bereits über 54.000 Menschen im Zusammenhang mit dem Coronavirus gestorben. Trotzdem lagen die wöchentlichen Todesfälle lange nur leicht über dem Durchschnitt der Vorjahre. Das hat sich in den vergangenen Monaten drastisch geändert. Seit Oktober steigen in Deutschland die Todeszahlen überdurchschnittlich an, wie die Auswertung der vorläufigen Sterbefallzahlen 2020 ergeben. Allein für die Weihnachtswoche verzeichnete das statistische Bundesamt eine Übersterblichkeit von bundesweit 31 Prozent. 5832 mehr Menschen starben in der Woche vom 21. bis 27. Dezember im Vergleich zum Durchschnitt der vergangenen vier Jahre. Die folgende Grafik zeigt die vorläufigen Sterbezahlen 2020 im Vergleich zu den Vorjahren:
Im November 2020 betrug die Übersterblichkeit nach Auswertung der vorläufigen Sterbefallzahlen zwölf Prozent. Für den gesamten Dezember lagen die Sterbefallzahlen sogar 29 Prozent über dem Vorjahresdurchschnitt. Insgesamt starben im Dezember nach vorläufigen Ergebnissen mindestens 106.607 Menschen in Deutschland. Dass im Monat Dezember mehr als 100.000 Menschen in Deutschland sterben, hat es zuletzt 1969 gegeben. Damals war die sogenannte Hong-Kong-Grippe der Grund für die erhöhten Sterbefallzahlen. Diesmal gilt es als sehr wahrscheinlich, dass die Übersterblichkeit seine Ursache in der Coronapandemie hat. Bereits während der ersten Pandemiewelle lag die Übersterblichkeit in der 15. Kalenderwoche bei rund 13 Prozent.
Allerdings lässt sich aus diesen Zahlen nicht ablesen, dass ALLE überdurchschnittlichen Todeszahlen ihren Grund in Corona haben. Im August etwa starben ebenfalls deutlich mehr Menschen als in den Vorjahren. Grund dafür war aber nicht das Coronavirus, sondern eine Hitzewelle.
Die Übersterblichkeit war besonders in den Bundesländern hoch, die auch hohe Infektions- und Todeszahlen in Verbindung mit dem Coronavirus gemeldet haben.
Während die Übersterblichkeit etwa in Brandenburg, Sachsen und Thüringen in den Dezemberwochen besonders hoch war, fiel sie in Schleswig-Holstein eher gering aus. Im Dezember lag die Übersterblichkeit in Sachsen bei 103 Prozent, die Sterbefallzahlen hatten sich im Vergleich zu den Vorjahren also mehr als verdoppelt. In Brandenburg lag die Anzahl der Todesfälle 48 Prozent über dem Durchschnitt der Vorjahre, in Thüringen bei 42 Prozent. Die folgenden Grafiken zeigen die Übersterblichkeit der einzelnen Bundesländer für das Jahr 2020 an.
Regionale Unterschiede zeichnen sich auch auf internationaler Ebene ab. Im Vergleich zu anderen Ländern hat Deutschland eine insgesamt eher geringe Übersterblichkeit zu verzeichnen: Auf das ganze Jahr 2020 bezogen lag die Zahl der Sterbefälle fünf Prozent über dem Durchschnitt der Jahre 2016 bis 2019. Von einer deutlich erhöhten Übersterblichkeit war etwa Großbritannien betroffen. Besonders die erste Pandemiewelle traf das Land schwer, wie auf der folgenden Ländergrafik zu erkennen ist. Insgesamt verzeichnet das Land 2020 eine Übersterblichkeit von etwa 13 Prozent. Auch die USA haben deutliche erhöhte Sterbefallzahlen zu verzeichnen. Anders ist es in Dänemark: Das Land hat es bislang geschafft, ohne deutlich erhöhte Sterbefallzahlen durch die Pandemie zu kommen.
Woran Menschen sterben, wird in Deutschland detailliert protokolliert: Für jeden Toten wird ein Totenschein ausgefüllt, auf dem die Sterbeursache notiert wird. Für 2020 liegen die Daten zu restlichen Sterbeursachen noch nicht vor, für 2019 aber kann man Anzahl und Ursachen der Todesfälle genau benennen. Da die meisten dieser Krankheiten sich im Verlauf der letzten Jahre relativ stabil entwickelt haben, eignen sich diese Zahlen dennoch für einen vorläufigen Vergleich.
Die Grafik zeigt die häufigsten Todesursachen in Deutschland 2019 im Vergleich zu allen Corona-Todesfällen von 2020 an:
Insgesamt starben 2019 939.520 Menschen in Deutschland - die meisten davon an Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Zweithäufigste Todesursache waren Tumore und Krebserkrankungen. Reiht man das Coronavirus in diese Liste ein, liegt es bereits auf Platz acht. Und das, obwohl erste Corona-Todesfälle erst ab März 2020 gezählt wurden – und obwohl Deutschland zweimal in den Lockdown ging und strenge Maßnahmen verhängte, um die Virusausbreitung einzudämmen.
Im Vergleich mit „äußeren“ Todesursachen fällt auf: Durch das Coronavirus sind 2020 mehr Menschen gestorben als durch häusliche Unfälle, Suizide, Verkehrsunfälle und Morde sowie andere Gewalttaten zusammen – über 9.000 Menschen mehr. Die Wahrscheinlichkeit, im Zusammenhang mit COVID-19 zu sterben, ist also deutlich höher als bei einem Verkehrsunfall ums Leben zu kommen oder Opfer eines Gewaltverbrechens zu werden.
Die Grafik zeigt die Todesfälle, die 2019 durch Gewalt und Unfälle verursacht wurden, im Vergleich zu allen Corona-Todesfällen von 2020 an.
Auch der Vergleich mit sogenannten Zivilisationskrankheiten ist aufschlussreich. Das sind Krankheiten, die aufgrund von eigenem Verhalten entstehen, etwa durch ungesunde Ernährung, Rauchen oder schmutzige Luft. Die Zahlen zeigen: In Deutschland sind 2020 mehr Menschen an Covid-19 gestorben als an der oft durch Rauchen ausgelösten Atemwegsverengung (COPD), einer alkoholischen Leberkrankheit oder Diabetes Typ 2.
Auf der ganzen Welt sterben jedes Jahr Millionen Menschen an ansteckenden Krankheiten, die eigentlich mit Medikamenten behandelt werden können. 2019 waren Tuberkulose und HIV die tödlichsten Infektionskrankheiten. Vergleicht man die Angaben zu den tödlichsten Infektionskrankheiten von 2019 mit den Coronaviruszahlen von 2020 zeigt sich: Rund 638.000 Menschen mehr starben 2020 an Covid-19 als 2019 an Tuberkulose:
Infektionskrankheiten sind natürlich nicht ohne Einschränkungen zu vergleichen. Tuberkulose tötet seit vielen Jahren rund 1,5 Millionen Menschen pro Jahr, die Sterblichkeitsrate liegt wesentlich höher als bei Corona.
Diese Zahlen zeigen aber, dass der Kampf gegen Corona global geführt werden muss, wenn wir den unsichtbaren Gast besiegen wollen. Auch wenn die Übersterblichkeit von Land zu Land und Region zu Region stark variiert, war das Coronavirus im letzten Jahr eine der tödliche Infektionskrankheiten, die es auf der Welt gibt. Die Statistiken erzählen zwar nicht von den tragischen Geschichten hinter den einzelnen Zahlen – doch sie zeichnen ein Bild davon, welche gigantische Aufgabe uns noch bevorsteht.