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Corona in Andorra, Liechtenstein, Malta, Monaco, San Marino und dem Vatikan

Wie das Virus Europas Zwergstaaten gefährdet

Es gibt kaum Länder mit mehr Toten pro Einwohner als San Marino und Andorra. Die Pandemie birgt für kleine Staaten besondere Risiken.
Es gibt kaum Länder mit mehr Toten pro Einwohner als San Marino und Andorra. Die Pandemie birgt für kleine Staaten besondere Risiken.
Andorra öffnete seine Grenzen – zuerst nur für Menschen, die im Umkreis von 100 Kilometern wohnen. Foto: imago images/Hans Lucas
Erstmals seit März empfängt der Papst wieder zur Generalaudienz im Vatikan. Foto: imago images/ULMER Pressebildagentur/Lingria

Ob Steuerparadies, altes Fürstentum oder beliebtes Touristenziel – die kleinsten Länder Europas Andorra, Liechtenstein, Malta, Monaco, San Marino und der Vatikan haben zusammen keine 600.000 Einwohner. Von der Corona-Pandemie sind diese Länder aber besonders stark betroffen. Blickt man auf die Zahlen, so führen sie die Listen der Corona-Daten an.

Das Land mit der höchsten Todesrate weltweit, gemessen an der Einwohnerzahl, ist San Marino. Der Staat, umgeben von italienischem Staatsgebiet, meldet 124 Tote pro 100.000 Einwohner.

Meldet San Marino nur 6 Tote an einem Tag, so steigt die Zahl der Toten pro 100.000 Einwohner direkt auf 18 an. Stirbt eine Person pro Tag, so sind das drei neue Tote pro 100.000 Einwohner – zehnmal so viele wie es in Deutschland Ende März gab.

Ähnlich ist die Lage in Andorra. Das Fürstentum liegt inmitten der Pyrenäen eingequetscht zwischen Frankreich und Spanien. Mit 69 Toten je 100.000 Einwohner gibt es in Andorra weltweit die viertmeisten Todesfälle.

Auch hier steigen die täglichen Toten pro 100.000 schnell auf Werte wie 5,9 – vier Tote wurden an diesem Tag gemeldet. Allerdings sieht man auch: Bis auf die Ausreißer sind im Verhältnis zur Bevölkerung ähnlich viele Menschen gestorben wie im Nachbarland Spanien.

Ähnlich extrem sieht es bei den Fallzahlen aus: Als sich in Europa die erste Welle auf dem Höhepunkt befand, führten auch hier Europas Zwergstaaten die Listen mit den meisten Infektionen an. Liechtenstein meldete Mitte März 55,4 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner – fast siebenmal so viel wie Deutschland zu dieser Zeit.

In Staaten, die nur so groß sind wie mittelgroße deutsche Städte, haben schon kleine Ereignisse staatstragende Auswirkungen. Das deutlichste Beispiel ist vielleicht der Vatikan.

Nur wenige Fälle lösen eine Welle aus

Im kleinsten Staat der Welt gab es seit Beginn der Pandemie zwölf Fälle unter Bewohnern und Angestellten. Das klingt nach wenig, rechnet man dies aber auf 100.000 Einwohner um, kommt auf einen extrem hohen Wert von 300 Infektionen pro 100.000 Einwohner, denn in Vatikanstadt leben nur knapp 1000 Menschen. Im umliegenden Italien gibt es um ein Vielfaches weniger Infektionen pro Einwohner. Der Wert zeigt einen statistischen Effekt: Weil der Vatikan nur ein paar hundert Einwohner hat, steigt die Pro-Kopf-Zahl schnell.

Und trotzdem ist der Vatikan aktuell coronafrei, alle Zwölf sind wieder gesund. Aber das kann sich schnell ändern: Eine kurze Infektionskette reicht theoretisch, um einen großen Anteil der Bevölkerung zu infizieren.

Warum es Nachteile hat, klein zu sein

Die Größe der Länder ist aber nicht nur statistisch ein Problem, sondern ein echter Risikofaktor in der Pandemie. Um die medizinische Versorgung aufrechtzuerhalten, sind Verbindungen zu den Nachbarn nötig. So hat der Vatikan, inmitten der italienischen Hauptstadt Rom, kein eigenes Krankenhaus. Auch Liechtenstein ist bei der medizinischen Versorgung auf den Nachbarn angewiesen. Denn das Land hat nur ein Krankenhaus. Es hat 40 Betten, was etwas mehr als einem Bett pro 1000 Einwohner entspricht. Das ist wenig – nur etwa ein Achtel des deutschen Wertes. Es hat jedoch Tradition, dass die Liechtensteiner Schweizer Krankenhäuser nutzen. In der Pandemie wurde eine Corona-Station in einem Liechtensteiner Altersheim eingerichtet, um das Krankenhaus zu entlasten. In San Marino schickte man Tests zu Beginn nach Italien, um sie dort analysieren zu lassen.

Überall fehlen Arbeitskräfte

Auch wirtschaftlich sind Zwergstaaten eng mit ihren Nachbarn verflochten – Grenzen zu schließen hätte schwerwiegende ökonomische Folgen, denn man ist auf Arbeitskräfte aus dem Nachbarland angewiesen. Im Gegenzug arbeiten sehr viele Einwohner im Ausland. Selbst die Insel Malta ist auf Gastarbeiter aus dem Nachbarland Italien angewiesen. Tourismus ist ein großer Wirtschaftsfaktor in vielen der Länder. Einreisende können aber auch das Virus mitbringen.

Für Andorraner ist das Pendeln ins und aus dem Nachbarland selbstverständlich – das eigene Land hat nur 77.000 Einwohner und 468 Quadratkilometer Fläche. Im Vergleich entspricht das der Fläche der Stadt Köln. Das Fürstentum ließ sich deshalb eine kreative Lösung einfallen: Ab dem ersten Juni öffnete es seine Grenzen – aber, so die Absprache mit Frankreich, nur für Menschen, die im 100-Kilometer-Umkreis der Landesgrenzen wohnen.

Mittlerweile sind die Regeln lockerer. Dennoch besteht Sorge, denn Andorra ist Risikogebiet. Hoteliers etwa bereiten sich auf eine schwierige Wintersaison vor – sie befürchten, dass die Gäste ausbleiben. „Die Einreise aus anderen Ländern ist derzeit vollständig blockiert”, sagte ein Sprecher der örtlichen Hotel-Interessensvertretung der Zeitung „Diari d’Andorra”.

Tourismus als Risikofaktor

Wie riskant es sein kann, wenn viele Touristen kommen, zeigen die Entwicklungen in Monaco und Malta. Beides sind beliebte Urlaubsländer im Sommer. Im Juni öffnete das berühmte Casino in Monte Carlo wieder. Und auch auf Malta durften Touristen aus sicheren Ländern wieder einreisen. Dafür stiegen dann die Neuinfektionen.

Monaco dürfte vor allem wegen seiner prominenten Infizierten bekannt geworden sein. Mit Staatsminister Serge Telle wurde Mitte März das erste Regierungsoberhaupt positiv auf das Virus getestet. Und auch Prinz Albert von Monaco erkrankte im Frühjahr an Covid-19. Im Hochsommer kämpfte seine Tochter Jazmin Grimaldi mit der Infektion. Und Anfang September wurde bekannt, dass ein Spieler der Profimannschaft AS Monaco infiziert ist.

Der Vorteil: Hohe Testquoten

Doch es kann auch sein Gutes haben, in einem der kleinsten Länder Europas zu leben. Infektionen lassen sich leicht nachverfolgen. Und es wird viel getestet. In Malta kommt fast auf jeden zweiten Einwohner ein Coronatest. Zeitweise wurden täglich mehr als fünf Tests pro 1000 Einwohner durchgeführt. In Deutschland sind es weniger als zwei. Auch San Marino nimmt bei breiten Teilen der Bevölkerung Virusproben. Und Andorra testete im April gleich die ganze Bevölkerung einmal durch. Und nicht nur das: Die Regierung stellte jedem Bürger zwei Mund-Nase-Bedeckungen zur Verfügung. Dort haben potentielle Verweigerer also eine Ausrede weniger, keine Maske zu tragen.

Die Autoren

Jonas Bickelmann
Recherche
Nina Breher
Text
Helena Wittlich
Produktion
Eric Beltermann
Datenvisualisierung
Veröffentlicht am 18. September 2020.