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Länderanalyse: Corona in Australien und Japan

Zweite Wellen sind beherrschbar

Plötzlich meldeten Japan und Australien wieder mehr Fälle – und senkten die Zahlen wieder. Mit extrem unterschiedlichen Ansätzen.
Plötzlich meldeten Japan und Australien wieder mehr Fälle – und senkten die Zahlen wieder. Mit extrem unterschiedlichen Ansätzen.
Prinzip Disziplin: Menschen mit Gesichtsmasken gedenken der Opfer von Hiroshima. Foto: Kyodo / via Reuters
Ein Frau joggt durch Melbourne. Es ist eine der wenigen Aktivitäten, die dort derzeit im Freien erlaubt sind. Foto: William West / AFP

Schon früh kamen in der Pandemie die Warnungen: Eine zweite Welle der Coronainfektionen könnte noch weit schlimmer sein als die erste. Oft wurde das Beispiel der „Spanischen Grippe” bemüht, wo das der Fall gewesen sei. Tatsächlich gibt es seit dem Sommer in vielen Staaten der Welt einen Wiederanstieg der Fälle – sofern die Kurve überhaupt abgeflacht war. Japan und Australien gehören dazu.

Sie sind aber auch Beispiele dafür, dass ein Wiederanstieg beherrschbar ist. Denn in beiden Staaten war die zweite Welle höher als die erste. Und in beiden Ländern sinken die Zahlen mittlerweile wieder. Australien zählte am 4. August mehr als 700 Neuinfizierte. Seitdem haben die täglichen neuen Fälle eine rückläufige Tendenz.

In Japan gab die meisten Neuinfizierten am 30. Juli – 1762 Corona-Fälle wurden an diesem Tag erfasst. Anschließend flacht auch dort die Kurve wieder ab. Wie haben die beiden Länder das geschafft?

Australien hat nur einen Hotspot – und drakonische Maßnahmen

In Australien entfällt ein Großteil der Fälle auf den Staat Victoria, insbesondere die Hauptstadt Melbourne. Deshalb galten dort ab dem 30. Juni wieder Lockdown-Maßnahmen, zunächst begrenzt auf nur zehn Postleitzahlgebiete. Am 3. August wurden sie verschärft: Schulen, viele Büros und Geschäfte mussten wieder schließen. Außerdem gibt es nachts eine Ausgangssperre und Sport ist in Melbourne nur im Umkreis von fünf Kilometern von Zuhause erlaubt. Der Beginn dieser Maßnahmen – der 2. August – fällt ziemlich genau auf den Zeitpunkt, mit dem auch die Fallzahlen zu sinken begannen. Weil von der Ansteckung bis zum Ausbruch von COVID-19 einige Tage vergehen, spricht das dafür, dass auch die ersten Maßnahmen langsam ihre Wirkung zu entfalten begannen.

Australien spricht für die Wirksamkeit örtlich begrenzter Maßnahmen. Denn in weniger betroffenen Staaten wie Western Australia wurden die Coronamaßnahmen bereits stark gelockert: Es gibt keine Beschränkungen für Treffen mehr und selbst Sportstadien dürfen mit halber Kapazität wieder öffnen. Mit einem strengen Kurs geht es weiter: Australiens Premierminister Scott Morrison will eine Corona-Impfung „so obligatorisch wie möglich“ machen. Ausnahmen von der Pflicht soll es nur aus medizinischen Gründen geben.

Lockdown geht auch lokal

Auch die Zahl der Corona-Toten ist in Japan und Australien in zwei Wellen gekommen. Sie folgt dem Anstieg der Infektionszahlen mit leichter Verzögerung. In Australien sind im Sommer deutlich mehr Menschen mit einer Coronainfektion gestorben als im Frühjahr. Allerdings starben auch zuletzt nicht mehr als 25 Menschen am Tag – in Belgien mit seiner weniger als halb so großen Bevölkerung waren es zweitweise über 300 Menschen pro Tag.

Japans Erfolge bei der Virusbekämpfung sind umso erstaunlicher, weil das Land eine sehr alte Bevölkerung hat und im internationalen Vergleich besonders lockere Gegenmaßnahmen erließ. Menschen sollten Zuhause bleiben und Geschäfte schließen – auf freiwilliger Basis.

Japan testet selten

Könnte es an Japans Teststrategie liegen, dass die Zahlen so niedrig sind? Tatsächlich werden – auf die Bevölkerung umgerechnet – in Australien zehnmal so viele Test durchgeführt wie in Japan. Das ostasiatische Land hat eine für reiche Länder enorm niedrige Testrate von zuletzt 0,17 pro 1000 Menschen und Tag – und zuvor waren es noch deutlich weniger. Das könnte auf eine hohe Dunkelziffer verweisen. Es sieht aber nicht so aus, als sei das Virus außer Kontrolle: In Japan sterben nicht viel mehr Menschen als im Durchschnitt der vergangenen Jahre, wie die Zeitung Mainichi berichtet.

Wegen all dieser Faktoren bezeichnete etwa die BBC Japans niedrige Coronazahlen als „Mysterium“. Es gibt jedoch Erklärungsansätze. Zum einen könnten andere Sars-Viren in Japan dazu geführt haben, dass deutlich mehr Menschen immun gegen das neue Coronavirus sind. Auch seien die Menschen in Japan viel früher bereit gewesen, Mund und Nase zu bedecken. Das zu tun ist dort auch üblich, wenn man eine Erkältung oder Grippe hat.

Außerdem wurden die Maßnahmen offenbar auch ohne Strafandrohung disziplinierter eingehalten als in anderen Ländern. Außerdem ist Japan eine Insel. Ein Förderprogramm für inländischen Tourismus könnte zwar dazu beigetragen haben, dass diese Disziplin zwischenzeitlich nachließ und sich wieder mehr Menschen ansteckten. Die Regierung sieht aber bis heute keine Notwendigkeit, erneut einen Notstand auszurufen. Ein solcher hatte in Japan bis zum 25. Mai gegolten. Es gibt nur lokale Beschränkungen, zum Beispiel sollen Bars in Tokio nicht länger als bis 22 Uhr öffnen.

Grundsätzlich ist die Zahl der bekannten Fälle in Australien und Japan viel niedriger als etwa hierzulande, wo es auf die Bevölkerung umgerechnet fast dreimal so viele Infizierte gab wie in Australien. Und der Vergleich zwischen Japan und Italien ist noch extremer: Auf 100.000 italienische Bürger kommen 9-mal so viele Coronafälle wie auf 100.000 Japaner. Würde man das mit den Fallzahlen in den USA vergleichen, lässt es sich grafisch kaum noch darstellen: 37-mal so viele Fälle wie in Japan kommen dort inzwischen auf 100.000 Einwohner. So unterschiedlich die Ansätze in Japan und Australien auch sind – die Daten sprechen für beide.

Die Autoren

Jonas Bickelmann
Text & Recherche
David Meidinger
Datenvisualisierung
Eric Beltermann
Datenvisualisierung
Veröffentlicht am 21. August 2020.