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Gibt es eine zweite Welle?

Steht das Coronavirus weltweit erst am Anfang? Interaktive Analysen von zehn Ländern zeigen, wo die Fallzahlen plötzlich wieder steigen – und wo sie nie wirklich gefallen sind.
Steht das Coronavirus weltweit erst am Anfang? Interaktive Analysen von zehn Ländern zeigen, wo die Fallzahlen plötzlich wieder steigen – und wo sie nie wirklich gefallen sind.

Hierzulande scheint fast alles wieder normal. Die Corona-Neuinfektionen sind nach den strengen Maßnahmen gefallen. Doch der Schein trügt. Denn verschwunden ist das neue Coronavirus noch lange nicht. Im Gegenteil: Es verbreitet sich weiter auf allen Kontinenten dieser Welt.

Auch in Europa werden jeden Tag noch etwa 15.000 Neuinfektionen gemeldet. Im Vergleich mit den anderen Weltregionen ist das wenig. Denn in Süd- und Mittelamerika, in Asien und Nordamerika sind die Infektionskurven kaum abgeflacht. Auch in Afrika steigt die Zahl der Neuinfektionen seit März konstant an.

Aktuell werden weltweit mehr Infektionen gemeldet als je zuvor. Neuer Hotspot des Virus: Nordamerika. Wie gravierend die Lage dort ist, zeigt sich, wenn man die Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner betrachtet. Mitte Juli steht Nordamerika mit 21,3 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner an der Spitze. Einer der Gründe dafür ist das Infektionsgeschehen in den USA. Die Öffentlichkeit schaut sorgenvoll auf die Weltmacht – aber auch in anderen Ländern steigen die Fallzahlen stetig – beispielsweise in Israel. Gibt es eine zweite Welle? Wir haben uns die Lage in zehn interessanten Staaten genauer angeschaut.

Die Ländergrafiken zeigen dabei nicht nur die absoluten Fallzahlen, wie man sie oft sieht, sondern auch für jedes Land, wie viele Neuinfektionen und zusätzliche Tote täglich gemeldet wurden. Jeder Balken entspricht dabei einem Tag. Außerdem können die Zahlen pro 100.000 Einwohner angezeigt werden. So lassen sie sich besser vergleichen.

Hier können Sie direkt zu einem der Länder springen, die in diesem Text vorkommen:

Wenn das Virus erst einmal gebremst ist, wächst oft auch der Druck, die Gegenmaßnahmen zurückzunehmen. Dass das Infektionsgeschehen in Ländern wieder aufflammen werde, davon geht der Epidemiologe Gérard Krause aus – auch weil kaum davon auszugehen sei, dass es nennenswerte „Durchseuchungen“ gebe, also die Herstellung einer Immunität in der Bevölkerung nach ausgestandenen Infektionen. Forscher zweifeln ohnehin noch immer an einer dauerhaften Immunität nach einer durchgestandenen Infektion mit dem Virus. Auch ein wirksamer Impfschutz ist noch nicht gefunden.

Ein starkes Virus trifft schwache Systeme

Wo das Virus auf schwache Gesundheitssysteme und schlechte Infrastruktur trifft, kann es sich besonders schnell ausbreiten. Da vielerorts Testkapazitäten fehlen, dürften die offiziell gemeldeten Zahlen nur einen Teil der Pandemie abbilden und die Dunkelziffern der Sars-CoV-2-Infektionen oft deutlich höher sein. In vielen afrikanischen oder asiatischen Staaten wird viel seltener auf das Virus getestet als in Europa oder auch den USA. Zudem gibt es international große Unterschiede bei der Erhebung der Statistiken – sie sind deshalb nur bedingt vergleichbar. Aus Ländern wie Nordkorea oder Turkmenistan dringen gar keine Informationen zum Virus nach außen.

Verschiedene Szenarien für den weiteren globalen Verlauf sind möglich. Viel hänge von der politischen Reaktion ab, und davon, wie die Öffentlichkeit auf beschlossene Maßnahmen reagiert, erklärte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus zum Wochenbeginn. Es sei nie zu spät, das Virus unter Kontrolle zu bringen. Aber er betonte auch: „Das Schlimmste steht noch bevor.“

Die folgenden Beispiele zeigen, wo sich die Pandemie am Anfang befindet – und wie unterschiedlich sie sich in einzelnen Staaten entwickeln kann.

Kuba hat eine relativ gute Bilanz. Seit einer Hochphase im April haben sich stetig weniger Menschen mit Corona angesteckt. Insgesamt sind bisher etwas weniger als 2500 Kubanerinnen und Kubaner positiv auf Corona getestet worden, 87 sind gestorben. Am 2. Mai meldete das Land die höchste Zahl an Neuinfizierten, 72 Personen. Viermal so viele meldete allein die Stadt Berlin am 26. März, mitten in der hiesigen Corona-Hochphase.

Kritiker bezweifeln allerdings, dass die offiziellen Zahlen der Corona-Infizierten stimmen. Und Kuba führt nur etwa 2000 Tests am Tag durch. Selbst das ginge nicht ohne eine chinesische Spende. So werden auch weniger Fälle entdeckt und gemeldet.

Befragungen statt Tests

Dafür setzt das Land auf Menschen statt auf Technik. Kuba hat zwar ein dichtes Netz an Nachbarschaftspraxen und kostenlose Versorgung, aber die medizinische Technik ist veraltet. Daran ist auch die Coronabekämpfung angepasst. Mit 59 Ärzten je 100.000 Einwohnern hat Kuba nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) die höchste Dichte an Ärzten weltweit. In Deutschland kommen 34 Mediziner auf 100.000 Einwohner, weltweit sind es im Durchschnitt gerade mal 13. Zuletzt schickte Kuba sogar noch Ärztebrigaden beispielsweise nach Italien, um beim Kampf gegen das Coronavirus zu helfen.

Im Land selbst gehen Ärzte und Studierende von Haus zu Haus und befragen die Menschen nach Symptomen. Ein Vertreter der Panamerikanischen Gesundheitsorganisation, José Moya, hält die kubanische Methode für effektiv: „Sie erlaubt es, Personen mit Covid-19-Symptomen schnell zu identifizieren, die Infektionsketten zügig zu durchbrechen und die Patienten bereits früh zu behandeln.“

Brasiliens rechtsextremer Präsident Jair Bolsonaro nimmt Corona bis heute nicht ernst. Dabei sind in seinem Land schon mehr als 79.000 Menschen mit dem Virus gestorben. Mit seinen rund 210 Millionen Einwohnern steht Brasilien auch auf Platz fünf der bevölkerungsreichten Länder der Welt. Doch ein Pro-Kopf-Vergleich zeigt, dass in Deutschland dreimal weniger Menschen starben. Und die Fall- und Todeszahlen steigen jeden Tag weiter.

Bolsonaro ist selbst mit Covid-19 infiziert, was ihn aber nicht daran hindert, regelmäßig Werbung für das umstrittene und bei Covid-19 als wirkungslos geltende Malariamittel Hydroxychloroquin zu machen. „Wir kämpfen gegen das Corona-Virus und das Bolsonaro-Virus“, sagte São Paulos Gouverneur João Doria. Während die Regierung im Chaos versinkt, haben die Gouverneure im Alleingang Ausgangsbeschränkungen und Quarantänemaßnahmen umgesetzt. Am 7. Juni setzten die Behörden gar die Meldung von Gesamtzahlen für Brasilien aus, ein Gericht zwang sie, den Schritt zurückzunehmen.

Bolsonaro stoppt Corona-Hilfe für Indigene

Der Präsident hat mit seinem Veto zuletzt 14 Maßnahmen eines Gesetzes zur Bekämpfung der Verbreitung von Covid-19 in Indigenengebieten gestoppt. Dazu gehörte die Verpflichtung der Regierung, den Indigenen Trinkwasser, Hygieneprodukte sowie Krankenhausbetten zur Verfügung zu stellen.

Die Regierung setzt in Corona-Zeiten den Umbau des Landes fort. Zuletzt wurde die kritische Abholzungsüberwacherin beim staatlichen Institut Inpe, Lubia Vinhas, suspendiert. Im Juni gab es die schlimmsten Amazonas-Brände seit 13 Jahren – ohne dass dies große Beachtung fand. Und im April hatte Bolosnaros Umweltminister gefordert, man müsse Umweltschutzgesetze abbauen, solange die Presse mit Corona beschäftigt sei.

Eigentlich schien Peru vieles richtig zu machen. Und trotzdem gibt es dort weltweit die fünftmeisten Fälle und mehr als 13.000 Tote. Immerhin testet das Land deutlich mehr als etwa Mexiko, nämlich etwa fünfmal pro 100.000 Einwohner am Tag. Davon sind aber über 40 Prozent positiv, meldet die Johns-Hopkins-Universität. Möglicherweise könnte also die Fallzahl noch höher liegen. Zum Vergleich: In Deutschland wird pro Kopf 12-mal so oft getestet und nur gut drei Prozent der Ergebnisse sind positiv.

Dabei waren Perus Maßnahmen zur Eindämmung des Virus streng. Schon am 15. März beschloss die Regierung Grenzschließungen und Quarantänemaßnahmen. Ein viel umsichtigerer Weg als im Nachbarland Brasilien. Aber die Maßnahmen scheinen sich nicht auszuzahlen. Ein möglicher Grund: die große Ungleichheit im Land.

Wer arm ist, kann nicht zuhause bleiben

Für die Armen in Peru ist es kaum möglich, sich zuhause in Quarantäne zu begeben. Sie müssen raus, um Geld zu verdienen. Und die Wohnverhältnisse sind viel enger als in den Vierteln der Mittel- und Oberschicht. Etwa 40 Prozent der Bevölkerung haben keinen Kühlschrank, ermittelte die Regierung dieses Jahr. Sie können also gar nicht anders, als häufig einzukaufen – auf gut besuchten Märkten. 40, 50, gar 80 Prozent der Verkäufer seien auf manchen Märkten infiziert, sagte Präsident Martín Vizcarra, sie seien „eine Hauptquelle der Ansteckung“.

Immerhin legte die Regierung einen Fonds für die ärmsten Teile der Bevölkerung auf. Aber auch hier führte die Umsetzung zu Problemen. Weil viele Peruaner kein Bankkonto haben, mussten sie persönlich zu den Banken gehen und das Geld abholen.

Auf den ersten Blick sieht es genau nach einer zweiten Welle aus: Australiens Neuinfektionen sind fast wieder auf dem Niveau des ersten Höhepunkts Ende März. Jeden Tag werden mehrere hundert Fälle gemeldet. Mit weniger als zwei Neuinfizierten pro 100.000 Einwohner am Tag hat Australien auch nach dem Wiederanstieg viel niedrigere Werte als viele Länder Europas sie zeitweise meldeten. Und obwohl es in Australien früh Corona-Fälle gab, sind dort weniger Menschen gestorben, gerade einmal halb so viel wie alleine in Berlin.

Australien hatte früh strenge Maßnahmen gegen Corona eingeführt. Allerdings waren nie landesweit die Schulen geschlossen. Der Staat machte die Grenzen dicht. Bis heute dürfen keine Ausländer ins Land. Sogar für aus dem Ausland zurückkehrende Australier gibt es eine Höchstzahl. Nur 4000 Menschen dürfen aktuell täglich einreisen. In Australien waren viele Infizierte mit Kreuzfahrtschiffen gekommen, allein 440 Fälle waren an Bord der „Ruby Princess“.

Melbourne verhängt hohe Bußgelder

In den letzten Wochen lockerten viele der Bundesstaaten schrittweise die Corona-Regeln. Aber in einzelnen Orten steigen die Fallzahlen, wenn auch auf niedrigem Niveau. So gelten in der Großstadt Melbourne wieder Ausgangsbeschränkungen. Allerdings scheint die Disziplin nachzulassen. Über 500-mal wurden in nur sechs Tagen Bußgelder verhängt – in einer Gesamthöhe von einer halben Million Euro.

„Es wird immer erst schlimmer, bevor es besser wird“, sagte Daniel Andrews, Regierungschef des Bundesstaates Victoria, dessen Hauptstadt Melbourne ist. Es werde derzeit „mehr getestet denn je“, über 30.000-mal in 24 Stunden.

96 Infektionen an einem Tag - das war die Spitze in Kroatien am 1. April. Danach sanken die Zahlen. Zwischen Ende Mai und Anfang Juni wurden fast bis gar keine neuen Infektionen mehr gemeldet. Doch seit Mitte Juni steigt die Kurve wieder, bisweilen steil. Auch hier gilt: Die Zahlen sind vergleichsweise niedrig. Etwa drei von 100.000 Menschen sind mit Coronainfektion gestorben, in Deutschland sind es elf.

Von einer zweiten Welle will Gesundheitsminister Vili Beroš nichts wissen. Der Grund: die erste sei noch nicht vorüber. Innenminister Davor Bozinovic sagte, der Anstieg sei „eine Warnung, dass das Virus immer noch vorhanden ist und dass die Empfehlungen der öffentlichen Gesundheitseinrichtung beachtet werden müssen.“

Superspeader auf „Adria Tour”?

Kroatien hatte die restriktiven Maßnahmen ab Ende April schrittweise gelockert und Ende Mai die Grenzen für Urlauber geöffnet. Das Land ist stark auf den Tourismus angewiesen und wirbt für sich als sicheres Reiseziel mit vergleichsweise niedrigen Corona-Zahlen, insgesamt gibt es seit Ausbruch mehr als 4300 Fälle.

Aus den Nachbarländern soll das Virus zuletzt nach Kroatien eingeschleppt worden sein, heißt es. Nicht von Touristen, sondern von Kroaten, die zurückkehrten. Seit Ende Juni führte Zagreb deshalb wieder eine Quarantänepflicht für Ankommende ein. Auffällig ist allerdings: Der neue Corona-Ausbruch in Kroatien fiel auch mit einer Etappe des internationalen Tennis-Wohltätigkeitsturniers Adria Tour zusammen, das am 20. Juni in der Küstenstadt Zadar stattfand. Der Organisator, seine Frau und drei Tennisspieler wurden im Anschluss positiv auf Corona getestet.

Ende Mai schien die Gefahr einer Pandemie gebannt. Die Zahl neuer Coronafälle sank bereits seit Wochen. Gerade einmal 17 neue Fälle kamen am 25. Mai noch hinzu, bei lediglich 2146 aktiven Fällen. Vom Höchststand von Mitte April, als fast 10.000 Menschen das Virus in sich trugen, war das Land weit entfernt. An vielen Tagen gab es keine Coronatoten mehr.

Doch seit Ende Mai steigt die Zahl der Ansteckungen deutlich, täglich kommen 1200 bis 1400 Fälle hinzu – Höchststände der bisherigen Infektionshistorie des Virus. Rund 20.000 aktive Coronafälle gibt es derzeit, 217 von 100.000 Einwohnern. Und seit Ende Juni sterben auch wieder Menschen an dem Virus – zuletzt zwischen drei und acht pro Tag.

Nach Angaben des israelischen Gesundheitsministeriums sind Hochzeiten derzeit der größte Infektionsherd. In etlichen Städten sei die Pandemie nach großen Feiern oder ähnlichen Versammlungen ausgebrochen. Nach der Lockerung einiger Corona-Regeln schnellten auch die Infektionszahlen wieder hoch.

Konfrontationen zwischen Coronakritikern und Polizei in Jerusalem

Mitte März hatte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu eine strikte Ausgangssperre verhängt – nur Menschen mit systemrelevanten Berufen durften zur Arbeit gehen – und war für sein konsequentes Handeln gelobt worden. Mittlerweile steht er für sein Krisenmanagement in der Kritik. Vorgehalten werden ihm vorschnelle Lockerungen und eine mangelnde Vorbereitung auf die zweite Pandemiewelle.

Doch Druck kommt auch aus anderer Richtung. Erst am vergangenen Wochenende demonstrierten Tausende gegen den strikten Umgang der Regierung mit der Pandemie. Zwischenzeitlich stieg die Arbeitslosigkeit auf 27 Prozent. In einem Jerusalemer Viertel kam es zu gewaltsamen Konfrontationen zwischen der Polizei und Einwohnern, die sich nicht an die Ausgangsbeschränkungen halten wollten. Zuletzt war insbesondere in strengreligiösen Wohnvierteln ein dramatischer Anstieg von Neuinfektionen zu verzeichnen.

Seit Wochen warnt die ukrainische Regierung vor einer möglichen zweiten Welle - und ist bemüht, sich vorzubereiten. Tatsächlich hat sich das Virus zuletzt stärker verbreitet. Der vorläufige Rekordwert bei den Neuinfektionen betrug 1121 am 26. Juni. Der bisherige Höchststand im April war nur etwa halb so hoch.

Jeden Tag verzeichnet das Land mehrere hundert neue Fälle. In der Hauptstadt Kiew gab es vergangene Woche mit 174 Fällen einen neuen Rekord. Noch im Juni und vor allem im Mai waren die Zahlen deutlich geringer. Insgesamt haben sich mehr als 60.000 Menschen infiziert. Allerdings sind in vielen osteuropäischen Ländern die Zahlen nicht zuletzt wegen fehlender Tests oft gering, warnen Experten. Das staatliche Gesundheitssystem gilt als schlecht.

Die Fallzahlen sind politisch gefärbt

In der Ukraine gibt es außerdem noch ein besonderes Problem. Am ersten Juni kamen erstaunlich viele Fälle auf einmal hinzu, wenn man den Zahlen der Johns-Hopkins-Universität betrachtet. Das hat politische Gründe. Ab diesem Tag rechnete das Team die Infizierten auf der Krim zur Ukraine. Vorher hatte man sie Russland zugeschlagen, das die Halbinsel für sich beansprucht. Das ukrainische Gesundheitsministerium meldet ebenfalls Fallzahlen, in denen die Erkrankten auf der Krim nicht enthalten sind. Warum, ist unklar.

Insgesamt hat sich die Situation im Land „signifikant verschlechtert“, wie Ministerpräsident Denys Schmyhal erklärte. Hauptgrund für die Zunahme, so der Premier unter Verweis auf Ärzte und Epidemiologen, sei, dass die Menschen im Land immer weniger auf die Einhaltung vor Vorsichtsmaßnahmen achteten. Außerdem würden die Verwaltungen in den Regionen die noch verbliebenen Restriktionen abschwächen, um politisch zu punkten.

Mitte Mai hatte das Land stufenweise mit dem Ausstieg aus den Beschränkungen begonnen - nachdem sich ein stabiler Trend abzeichnete. So konnten beispielsweise Schulen wieder öffnen und öffentliche Verkehrsmittel fahren. Nun bereiten sich Krankenhäuser darauf vor, wieder mehr Patienten aufnehmen zu müssen.

In Usbekistan steigt seit Wochen die Zahl der Neuinfektionen an – vom Abflachen der Kurve hier keine Spur. Nun warnen die Behörden des Landes mit knapp 33 Millionen Einwohnern, dass steigende Coronavirus-Fälle das Gesundheitssystem überlasten könnten. Viele Kliniken sind bereits voll, knapp 500 Neuinfizierte melden die Behörden Mitte Juli jeden Tag. Schon 1000 neue Fälle, so die Befürchtung, würden zum Zusammenbruch führen.

Die Neuinfektionen waren wieder angestiegen, nachdem viele der eingeführten Maßnahmen zurückgenommen wurden. Die Behörden sehen vor allem die Rückkehr von Gastarbeitern aus dem Ausland hinter dem neuen Anstieg. Mehr als 2,5 Millionen Usbeken arbeiten in Ländern wie Russland, um ihre Familien in der Heimat zu versorgen.

Eine zweite Welle an Beschränkungen

Das Land hatte auf den Sommer gehofft. Die Hitze werde eine zweite Welle im zentralasiatischen Land verhindern, hatte es aus dem Virologischen Forschungsinstitut in der Hauptstadt Taschkent Ende Mai geheißen. Vor dem Herbst, so die Prognose, dürften die Bedingungen für das Virus ungünstig sein. Der Sommer in Usbekistan ist trocken und heiß. In den vergangenen Tagen lagen die Temperaturen um 39 Grad, in den kommenden Tagen soll das Thermometer weiter klettern.

Nun verschärfte Usbekistan in diesen Tagen die erst vor einigen Wochen gelockerten Corona-Beschränkungen; Restaurants, Märkte und Sportstätten mussten erneut schließen, Treffen von mehr als drei Personen sind wieder verboten.

Spät traf die Pandemie Südafrika. Im März sah nach Ende der Ausgangssperre noch alles gut aus. Doch glaubt man den aktuellen Fallzahlen, hat es das Land mittlerweile heftig erwischt. Über 364.000 Fälle mit dem Coronavirus sind bislang bestätigt – 478 Fälle pro 100.000 Einwohner. Täglich kommen 12.000 bis 13.000 registrierte Infektionen hinzu, immerhin über 20 Menschen pro 100.000 Einwohner.

Das allein macht Südafrika zu einem Epizentrum des Virus, regional ebenso wie weltweit. Denn die Infektionen in Südafrika machen über 40 Prozent der registrierten Fälle des Kontinents aus. Ergreift Südafrika eine Pandemiewelle, betrifft dies die gesamte Region: Auch in Namibia und Mosambik steigen die Fälle.

Die Armen trifft es besonders

Besonders in der südafrikanischen Westkap-Provinz breitete sich das Virus zuletzt schnell aus. Ebenso rasch wurde über den Zusammenbruch des Gesundheitswesens geklagt. Krankenhäuser mussten nach Covid-19-Fällen vorübergehend schließen, Coronatests zwischenzeitlich zurückgefahren werden. Das Gesundheitssystem des Landes, dem 12.000 Ärzte, Pfleger und andere Mitarbeiter fehlen, ist am Limit. Am stärksten sind Slums und Townships vom Virus betroffen.

Erst vor wenigen Tagen erließ Staatschef Cyril Ramaphosa erneut eine nächtliche Ausgangssperre, setzte den Verkauf von Alkohol aus und untersagte auch Feste und Reisen zu Verwandten. Die Pandemie drohe Südafrika „an die Grenzen“ seiner Ressourcen zu bringen, sagte Ramaphosa. Südafrikas größte Oppositionspartei Demokratische Allianz sieht in den Maßnahmen nicht mehr als Ablenkungsmanöver vom Regierungsversagen.

5000 aktive Covid-19-Fälle verzeichnen offizielle Stellen derzeit für Äthiopien – selbst im Vergleich zur Bevölkerung, die 105 Millionen Menschen zählt, ein verschwindend geringer Wert. Doch die Kurve zeigt: Die Zahl der Coronafälle in dem Land am Horn von Afrika steigt rasant an.

Lange hatte Äthiopien wenige bekannte Fälle, wochenlang wurden keine Neuinfektionen mehr gemeldet. Dann schnellten am 8. Juli die Fallzahlen nach oben, offenbar aufgrund von Nachmeldungen. Die äthiopische Regierung hatte nach nach Unruhen ab dem 30. Juni den Zugang zum Internet blockiert. Das führte wahrscheinlich zur Unterbrechung der Meldungen.

Ein fragiler Frieden

Bemerkenswert sind die Zahlen auch mit Blick auf das kaum entwickelte Gesundheitssystem. Schon zu Beginn der Coronakrise warnten Beobachter vor dessen Kollaps. Gerade einmal 150 Intensivbetten zählte das Land laut WHO bis dahin, in Deutschland waren es zu diesem Zeitpunkt rund 40 000. Bei einem massiven Ausbruch der Erkrankungen in Äthiopien wären viele Betroffene auf sich allein gestellt. Entsprechend rasch reagierte die Regierung. Schon Anfang April rief Äthiopien landesweit den Notstand aus – mit Folgen für die Politik. Auch die für den 29. August geplante Parlamentswahl wurde verschoben. Ein neuer Termin steht noch immer aus.

Die Coronakrise trifft Äthiopien ohnehin in einer heiklen Zeit. Das Land ist im Aufbruch, manche betrachten es als Hoffnungsträger in einer von Konflikten geplagten Region. Trotz der Unruhen, bei denen zuletzt 239 Menschen starben, setzen internationale Politiker auf den Reformprozess von Abiy Ahmed, dem jungen Premier, der 2019 den Friedensnobelpreis erhielt. Der Frieden zwischen Äthiopien und Eritrea, nach 18 Jahren der Spannungen geschlossen, ist noch immer jung.

Die Autoren

Jonas Bickelmann
Text & Recherche
Oliver Bilger
Text & Recherche
Matthias Jauch
Text & Recherche
Manuel Kostrzynski
Gestaltung
Hendrik Lehmann
Koordination
David Meidinger
Datenvisualisierung
Helena Wittlich
Redigatur
Veröffentlicht am 20. Juli 2020.
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