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Getty Images/iStockphoto

Das Comeback der Eier

Lange galt es als Cholesterinbombe. Nun kehrt das Ei in die Gourmetküchen zurück. Die Geschmacksunterschiede von Wachtel- bis Straußenei. Und ein Blick auf steinalte und brandneue Zubereitungsarten.
Lange galt es als Cholesterinbombe. Nun kehrt das Ei in die Gourmetküchen zurück. Die Geschmacksunterschiede von Wachtel- bis Straußenei. Und ein Blick auf steinalte und brandneue Zubereitungsarten.

Was immer für die Henne sprechen mag, das Ei ist ihr in der kulinarischen Wandlungsfähigkeit weit voraus. Es ist ein kleines Labor der natürlichen Molekularküche, begeistert durch seine unglaubliche Vielseitigkeit und seine verblüffenden Eigenschaften, kostet nicht viel Geld und ist überall mit ein wenig Mühe in guter Qualität zu haben.

Deshalb hat es sich in den letzten Jahren nicht nur in der kostenbewussten Gourmetstilistik etabliert, sondern ist auch zum heimlichen Star der (ovo-)vegetarischen Küche geworden, in der es Bindung und Schmelz liefert und allzu harsche Pflanzenattacken mild abfedert.

In der veganen Stilistik hat es keinen Platz, eine an sich banale Feststellung. Aber viele ehrgeizige Köche stellen nach kurzer Zeit fest, dass sie eben auf genau diese verbindenden Eigenschaften nicht verzichten wollen, und kehren deshalb, wie Micha Schäfer vom Berliner „Nobelhart“, zu vegetarischen statt veganen Zubereitungen zurück.

Wie das Ei entdeckt wurde

Es lässt sich nur spekulieren, wann der Mensch das Ei entdeckt hat. Vielleicht hat irgendein Neandertaler den Ur-Eichelhäher beim Nestraub beobachtet und ist auf die Idee gekommen, dass ihm das auch schmecken könnte. Und als das Feuer erfunden war und man so herumprobierte, was damit geht, dürften das weiche Frühstücks- und das hart gekochte Picknickei rasch auf dem Speisezettel gelandet sein, egal von welchem Vogel.

Dann wurde aus dem Wildhuhn das Haushuhn und verwies die geflügelten Kollegen eitechnisch auf die Plätze, wenngleich Wachteln, Enten, Gänse und Puten gleichermaßen Essbares legen und speziell das Wachtelei immer mal wieder in der Gourmetküche auftaucht, wenn was Kleines zur Deko gebraucht wird.

Dabei ist Ei nicht unbedingt gleich Ei. Sie unterscheiden sich in Aussehen und Gewicht. Scrollen Sie weiter nach unten und entdecken Sie die gängigsten essbaren Eier im Vergleich.

Wachtelei
Es war früher mal teuer, kommt aber heute von Zuchttieren. Wachteleier wiegen nur 9 bis 12 Gramm und haben ein intensiveres Aroma als Hühnereier. Weil sie klein sind, sind sie schneller verderblich.
Hühnerei
Braunes Huhn, braunes Ei? Falsch, die Schalenfarbe hängt von der Hühnerrasse ab. Es gibt sie auch grün oder rosé. Europäer bevorzugen weiß. Auch die Größe der Hühnerei variiert. Es gibt sie in S, M, L und XL zu kaufen. Ein mittleres Ei der Größe M wiegt zwischen 53 und 63 Gramm.
Entenei
Sie haben eine porösere Schale, daher müssen Enteneier gut gesäubert und kühl gelagert werden. Ihr Gewicht liegt bei 60 bis 75 Gramm. Zubereitet schmecken sie auf viele Arten sehr gut – gekocht, pochiert, gebraten und auch in Süßspeisen.
Putenei
Dieses Ei schmeckt cremiger als Hühnerei und wiegt etwa doppelt so viel. Man es kann braten oder weich kochen (acht Minuten). Eine Pute legt nur zwischen 20 und 50 Eier im Jahr.
Gänseei
Nur von Mai bis Oktober kann man Gänseeier kaufen. Ihr Gewicht beträgt etwa 180 Gramm. Sie eignen sich gut zum Kochen und Backen, eines ersetzt drei Hühnereier. Für Allergiker sind Gänseeier besonders gut verträglich.
Straußenei
Ein bis gut zwei Kilo bringt ein Straßenei auf die Waage. Im Geschmack ähnelt es dem Hühnerei und schmeckt als Rührei, Omlette, in Waffeln oder als Likör. Öffnen muss es allerdings mit einem Akkuschrauber oder Hammer.

Also das Hühnerei. Es eröffnet das Frühstück kategorisch in seiner schlichtesten Zubereitung, dem gekochten Fünf-Minuten-Ei, zuzubereiten auch von Totalignoranten. Etwas komplexer ist das Rührei, das nicht nur die Fähigkeit zum Öffnen der Schale des rohen Eis voraussetzt, sondern auch ein wenig Wissen über den Garpunkt: Zu lange erhitzt wird es trocken, und diese Eigenschaft ist eben auch einer der Gründe für die Wandungsfähigkeit des Eis.

Eiweiß und Eigelb stocken bei Erwärmung, und sie tun dies nicht einheitlich, sondern, je nach Temperatur, unterschiedlich. Eigelb bindet cremig ab, wird dann krümelig, Eiweiß nimmt viel Luft auf, stockt bei Erhitzung bis zu gummiartiger Konsistenz.

Spiegelei Deluxe

Die wissenschaftliche Durchdringung der Küche in den letzten 30 Jahren hat auch den Umgang mit dem Ei revolutioniert und eine Vielzahl von neuen, oft tatsächlich steinalten Zubereitungsmethoden hervorgebracht, etwa das Onsen-Ei, das angeblich schon in den heißen Schwefelquellen Japans bei 63 Grad zubereitet wurde, in etwa einer Stunde wattig-weich wird und sich gut zur Weiterverarbeitung eignet, beispielsweise zum Ausbacken in heißem Fett.

Der neue Blick führt aber auch zu weniger komplizierten Ergebnissen. Der toskanische Geflügelzüchter Paolo Parisi, der seine Hennen mit einem Brei aus Getreide und Ziegenmilch füttert und deren Eier für fünf Euro pro Stück verkauft, hat ein berühmtes Rezept für Spiegelei entwickelt: Er trennt das Ei, lässt dann das Eiweiß in der Pfanne bei 80 Grad in warmem Olivenöl anziehen, rührt geriebenen Parmesan hinein und gibt dann kurz vor Schluss das rohe Eigelb obenauf. So, meint er, bleibe der feine Geschmack am besten erhalten.

Ein Küchenstar, der auch einfach kann

In der globalen Küchenpraxis ist und bleibt das Ei unersetzlich - in der Sauce Hollandaise und ihren Varianten, in den klassisch französischen, leider nahezu ausgestorbenen Soufflés oder der schaumigen, süßen italienischen Zabaione. Rustikal gibt es der italienischen Frittata oder der baskischen Piperade die Basis, als Eierstich schwimmt es in der Consommé, wachsweich gekocht in der vietnamesischen Pho-Suppe, als tausendjähriges Ei ist es einer der wichtigsten Pfeiler der chinesischen Küchentradition.

Tausendjährige Eier sind fermentiert. Das Eigelb verfärbt sich grünlich. Das Eiweiß bekommt eine bernsteinähnliche Farbe. Foto: imago images/imagebroker

Crème brûlée und Crème Caramel sind weltweite Dessertstandards zwischen göttlich und grauenhaft, und in der Konditorei schafft der Eischnee die Lockerheit, während das Eigelb den Zusammenhalt des Teigs sichert, beides nahezu unersetzlich, auch wenn vegane Bäcker viel mit Alternativen herumexperimentieren.

Mythos Cholesterinbombe

Die Liste der Traditionen und Rezepte weltweit ist nahezu endlos, aber wer es eilig hat, schlägt sich einfach zwei ganz knapp gekochte Eier ins Glas und hat damit einen Caféhaus-Klassiker zubereitet, der ein wenig in Vergessenheit geraten ist. Dabei sind die „Eier im Glas“ viel kalorienärmer als die allfälligen fetten „Eggs Benedict“, die 1894 vom New Yorker Börsenmakler Benedict zur Katerbekämpfung erfunden wurden und in den letzten Jahren auch den kontinentaleuropäischen Brunch erobert haben.

Als Treibsatz der neuen Eier-Begeisterung muss die Erkenntnis gelten, dass das Ei über Jahrzehnte völlig zu Unrecht als gefährliche Cholesterinbombe geschmäht wurde.

Berlin – der Schauplatz für internationale Eierspezialitäten

Womit wir bei den Moden wären. Gerade Berlin, der Schauplatz globaler kulinarischer Einflüsse, eignet sich für einen Rundgang. Vor etwa 15 Jahren hat Christian Lohse hier das Onsen-Ei bekannt gemacht und mit einer Vielzahl kostspieliger Attribute immer wieder abgewandelt.

Die israelischen Einwanderer haben ihre Shakshuka nach Berlin mitgebracht, den scharfen Tomateneintopf mit oder ohne Wurst, in den erst kurz vor Schluss reichlich aufgeschlagene Eier eingerührt werden und nur ganz kurz stocken dürfen; noch vor fünf Jahren war das Gericht bei uns kaum bekannt, heute wird es an jeder Szene-Ecke zubereitet. Immer mal wieder bereiten Berliner Köche auch das „Scotch Egg“ zu, das hart gekocht und dann in einer Fleischhülle knusprig ausfrittiert wird, populär gemacht von Gordon Ramsay.

Rezept
Schottische Eier

Hart gekocht und in einer knusprigen Hülle ausfrittiert: Diese Variante schmeckt warm und kalt

Zutaten

für 4 Personen: 6 Eier 200 g Wurstbrät (beim Metzger kaufen oder ein paar frische rohe Würstchen häuten) 200 g Schweinehackfleisch 3 EL frisch gehackte Kräuter (z. B. Petersilie oder Schnittlauch) 1 Prise frisch geriebene Muskatnuss 1 EL scharfer Senf 1 EL Milch, 50 g Mehl 100 g Paniermehl (am besten Panko) Sonnenblumenöl zu Frittieren

Zubereitung

Vier Eier in einen Kochtopf legen und diesen mit Wasser füllen, sodass die Eier zwei Zentimeter hoch mit Wasser bedeckt sind. Zum Kochen bringen. Die Temperatur zurückschalten, sobald das Wasser zu kochen beginnt, und fünf Minuten sieden lassen. Dann die Eier mindestens zehn Minuten in eiskaltem Wasser kühlen. Die Eier pellen.

Wurstbrät, Hackfleisch, Kräuter, Muskatnuss und Senf in eine Schüssel geben und gut vermischen. In vier gleich große Portionen teilen und diese auf ein Stück Frischhaltefolie legen. Flach drücken und jeweils ein gekochtes Ei darauflegen. Die Frischhaltefolie vorsichtig um das Ei legen, dabei die Wurstmasse so verteilen, dass sie das Ei vollständig umschließt. Alle vier Eier auf diese Weise umwickeln. Dann die Frischhaltefolie vorsichtig entfernen.

Die beiden restlichen Eier in einer Schüssel mit der Milch verquirlen. Mehl und Paniermehl jeweils in eine Schüssel geben. Die Eier zuerst im Mehl wenden und das überschüssige Mehl vorsichtig abklopfen. Dann in der Eimischung und anschließend im Paniermehl wälzen. Das Öl in eine Frittierpfanne füllen und die panierten Eier in 170 Grad heißem Öl ein paar Minuten frittieren. Herausnehmen und auf Küchenpapier abtropfen lassen.

Die Schottischen Eier können sowohl warm als auch kalt gegessen werden.

Britischer Snack: das Scotch Egg. Foto: imago images/Mint Images

Aus Japan ist Chawanmushi zu uns gekommen, ein cremiger Eierstich im kleinen, flachen Topf, der nahezu beliebig kombiniert werden kann. Es gibt dieses Gericht klassisch in den kleinen Izakaya-Restaurants, aber auch Tim Raue hat damit gespielt und viele Varianten serviert, vorzugsweise reich kombiniert mit Trüffeln und Wachtelei. Im Stockholmer „Frantzén“, einem der besten Restaurants der Welt, gilt es als Signature Dish im Zusammenspiel mit beispielsweise Kaviar, Wasabi und Schweinebrühe. Und schließlich ist die Renaissance der französischen Brasserieküche ohne Eier kaum denkbar, nachzuschmecken in den „Oeufs à la cocotte“ mit Speck, die Regis Lamazère in seinem Bistro am Stuttgarter Platz vortrefflich zubereiten lässt.

Eine Konsistenz wie Trüffel

All diese Rezepturen sehen das Ei im Grunde in der Rolle des Konsistenzgebers, der sich aromatisch so gut wie allem unterordnet, aber auch in der Lage ist, durch seine vollendete Cremigkeit fast alles zu verbinden, zu harmonisieren und Säurespitzen angenehm abzupuffern.

Doch die neue Regionalküche ist schon wieder einen Schritt weiter. Der Nürnberger Tüftler Andrée Köthe hat vor ein paar Jahren das „gebeizte Eigelb“ entwickelt, das in einer aromatisierten Salz-Zucker-Marinade nach vier Tagen nahezu fest wird und dann sogar gerieben werden kann wie ein Trüffel - auch damit experimentieren Berliner Köche längst.

Das Eigelb wird mehrere Tage in Salz eingelegt, bis es fest wird. Foto: imago images/Panthermedia

Und auch das Ei ohne alles ist noch nicht am Ende der Entwicklung angekommen, wie der Schweizer Koch Arno Sgier beweist, der ein Eigelb in steif geschlagenen Eischnee einbettet und dann im Dampfgarer pochiert.

Bio heißt nicht gleich Feinkost

Ausgangspunkt all dieser anspruchsvollen Zubereitungen ist die Beschaffung des richtigen Eis. Es erfüllt zwar, Frische vorausgesetzt, immer seinen technischen Zweck, egal ob billig vom Discounter oder teuer vom Kult-Züchter. Doch erst seit alle über kulinarische Perfektionierung nachdenken, seit es qualitätsbewusste Erzeuger gibt, die sich von den Köchen gern in den Stall und über den Hof blicken lassen, ist die Vertrauensbasis da, ohne die eine so sensible Zutat keine Flughöhe gewinnen kann.

Bio ist ein Basismerkmal, aber es gibt viele kleine Züchter, die das Biolabel dem Massenhandel überlassen und das für die Zertifizierung gesparte Geld lieber ins Futter stecken, als vor ihren Hühnern irgendwelche Industrie-Säcke auszukippen. Dabei geht es nicht einmal so sehr um den Geschmack, dessen Nuancen im Normalfall minimal sind; typisch fürs neue, aromatisch optimierte Ei ist die Hervorhebung nussiger und grasiger Aromen, die schwer fassbar sind.

Und wo gibt es Berlins Glamour-Ei?

Geflügelzüchter Paolo Parisi spricht seinen Eiern ein an Mandeln erinnerndes Aroma zu. Wichtiger ist generell die Absicht, ein gesundes und ethisch vertretbares Nahrungsmittel herzustellen und zu verarbeiten. Dabei kommt unweigerlich auch die Frage ins Spiel, was mit den Hähnchen geschieht, die in der konventionellen Geflügelhaltung meist einfach gleich nach der Geburt geschreddert werden.

Einen wie Parisi hat Berlin noch nicht. Aber unsere Trendköche schwören derzeit auf die „Weide-Eier“ von Johannes Habel in Falkenhagen, die auch in der Kreuzberger Markthalle IX zu haben sind. Er pflegt das „Zweinutzungshuhn“, das nicht nur Eier legt, sondern später auch geschlachtet wird, was in der Massenhaltung kaum möglich wäre. Bei ihm laufen sie frei herum, werden mit Getreide, gedämpften Kartoffeln und sogar Sahne gefüttert. Der Preis, 70 Cent, liegt nicht weit über Bioladen-Niveau, aber weit unter dem von Paolo Parisis Glamour-Ei. Schade, dass ein direkter Vergleich kaum möglich ist.

Die Autoren

Susanne Leimstoll
Text & Recherche
Bernd Matthies
Text & Recherche
David Meidinger
Webentwicklung
Helena Wittlich
Produktion
Veröffentlicht am 21. Juli 2020.
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