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Handel mit faulen Krediten

Das sind die größten Käufer unbezahlter Schulden

Ein Großteil europäischer Schulden landet bei Investoren in den USA. Auch europäische Firmen sind dick im Geschäft. Neue Branchendaten zeigen die mächtigsten Player und warum bald noch mehr Kredite platzen könnten.
Ein Großteil europäischer Schulden landet bei Investoren in den USA. Auch europäische Firmen sind dick im Geschäft. Neue Branchendaten zeigen die mächtigsten Player und warum bald noch mehr Kredite platzen könnten.

Sie können Ihre Kreditkartenschulden nicht bezahlen? Dann kann es passieren, dass Sie bald jemandem Geld schulden, von dem Sie noch nie gehört haben. Grund ist der florierende Handel mit Portfolien nicht gezahlten Schulden – in Fachkreisen „non-performing loans“ (NPLs) oder „notleidende Kredite“ genannt.

Von Banken oder Händlern werden solche Kredite häufig in Portfolien gebündelt. Investoren aus aller Welt kaufen die Schulden an und spekulieren darauf, dass möglichst viel doch noch eingetrieben werden kann. [Mehr dazu können Sie hier lesen.]

Ein Branchenbericht zeigt nun, welche Investment-Unternehmen in Europa die größten Käufer und Profiteure sind – und legt nahe, dass Schuldenhandel und Investitionen in Schuldenpakete noch weiter ansteigen könnten. Denn nach Pandemie, Energiekrise und Inflation könnte es bald noch mehr Schuldner geben, die nicht zahlen können.

Investmentunternehmen seien „die Hauptnutznießer“ der Strategie von Banken und anderen Institutionen, große Portfolien nicht gezahlter Schulden abzustoßen, heißt es in dem kürzlich erschienenen Analysebericht der Wirtschaftsprüfer und -berater von Deloitte.

Wohin europäische Schulden verkauft werden

Die meisten Kredite wurden in die USA verkauft, wie die Deloitte-Daten zeigen. Dabei wurden große Käufe von Schuldenpaketen zusammengefasst und ausgewertet. Marktführer im Zeitraum 2017 bis 2022 ist demnach Investmentfonds-Managementunternehmen Cerberus mit Firmensitz in New York. Das Unternehmen investierte 92 Milliarden, einen Großteil davon allerdings vor 2020.

Die meisten Investments zwischen 2020 und 2022 machte die US-Investmentfirma Davidson Kempner.

Aber auch Investoren aus Italien, Schweden und Griechenland profitieren. Größtes europäisches Unternehmen ist Intrum aus Schweden, das 43 Milliarden in europäische Problemkredite investierte. In Deutschland kauft die Deutsche Bank laut dem Bericht besonders viele Schuldenpakete, zwischen 2015 und 2022 investierte sie elf Milliarden Euro in das Geschäft. Da die Deutsche Bank 2014 in ein Neun-Milliarden-Euro-Portfolio aus Irland gekauft hatte, Deloittes Erhebung dieses Jahr aber Investitionen von 2015 bis 2022 protokolliert, sind die Investments der Deutschen Bank dieses Jahr nur noch fast halb so hoch wie im letzten Branchenbericht (2014 bis 2021).

Wie groß der Markt für ungezahlte Schulden tatsächlich ist, ist jedoch unbekannt. Im Deloitte-Bericht finden sich nur jene Verkäufe, die bekannt geworden sind, etwa über Pressemitteilungen oder Medienberichte. „Ein Handel muss nicht bekannt gegeben werden“, sagt Marcel Köchling, Vorstandsmitglied der Bundesvereinigung Kreditankauf und Servicing sowie Geschäftsführer des Inkassounternehmens PRA Group. „In der Regel erfährt man nur von einigen großen Transaktionen.“

Zudem protokolliert Deloitte nur Käufe von Firmen, die hauptsächlich große Portfolios von Finanzinstitutionen kaufen. So fehlen etwa Investitionen der großen deutschen Firma EOS, einer Tochter der Otto-Group. EOS investiert auch viel in Schulden von Nicht-Finanzinvestitionen, zum Beispiel von anderen Unternehmen.

Kauf, Verwaltung und Eintreiben von faulen Krediten ist zu einem gigantischen internationalen Geschäft geworden - auch die Otto Group profitiert. Wie das System funktioniert und was es mit der Musterklage gegen EOS zu tun hat, können Sie hier lesen.

Dennoch ermöglicht der Bericht von Deloitte einen Einblick in das Geschäft mit den intransparenten Geisterkrediten. Obwohl viele der Kreditverkäufe ihre Hochzeit in der Finanzkrise hatten, werden Schuldenportfolios weiterhin rege gehandelt – wenngleich weniger als im Vorjahr.

2022 wurden Schulden-Portfolio-Transaktionen von 91,3 Milliarden Euro bekannt, 2021 waren es 117,9 Milliarden. „Dies ist auf die robuste Qualität der Aktiva zurückzuführen und darauf, dass die höheren Zinsen und die makroökonomische Unsicherheit den Appetit der Anleger dämpften“, heißt es im Bericht.

Laut dem Bericht ist Italien der größte Markt, gefolgt von Spanien und dem Vereinigten Königreich. Das liegt unter anderem daran, dass im Zuge der Finanzkrise nirgendwo in Europa eine so hohe Gesamtsumme an Krediten floppte wie in Italien.

Deutschland ist zwar große Volkswirtschaft, aber ein wesentlich kleinerer Markt für unbezahlte Schulden.

Insgesamt sind die Anteile fauler Kredite in den Banken stabil. Als Erfolgsfaktor nennt Deloitte Moratorien und staatliche Unterstützungsprogramme während der Pandemie – und nach dem Beginn des Kriegs in der Ukraine. Dennoch bleiben Deutsche Banken „anfällig für einen Anstieg der NPLs“, folgert der Bericht.

Bald mehr faule Kredite in Europa?

Das gilt nicht nur für deutsche Banken. Erstens würden wirtschaftliche Kennzahlen Hinweise darauf liefern, dass den Finanzmärkten schwierige Jahre bevorstehen. Der International Monetary Fund etwa gehe davon aus, dass das globale Wirtschaftswachstum 2023 real unter drei Prozent fallen könnte und sich auch in den Jahren darauf kaum erholen soll. „Dies ist die die niedrigste mittelfristige Wachstumsprognose der Organisation seit 1990, und deutlich unter dem durchschnittlichen Wachstum von 3,8 % in den letzten zwei Jahrzehnten“, folgern die Deloitte-Experten.

Zweitens gebe es einen Abwärtstrend bei bedienten Krediten: Eine zunehmende Zahl weise „anhaltende Auffälligkeiten“ auf, was bedeuten könnte, dass immer mehr Schuldner mittel- bis langfristig nicht bezahlen können. Das gelte „insbesondere, wenn die anhaltend schwierigen makroökonomischen Bedingungen über einen längeren Zeitraum hinweg anhalten“.

Für Schuldner ist das eine schlechte Nachricht. Für Investoren wie Intrum und Co. ist es eine gute.

Dieser Artikel ist Teil der Recherche „Ghost debts: The shadow financial system making money with unpaid loans“. Sie entstand im Rahmen des Urban Journalism Network ECIJA und wurde vom Journalismfund Europe unterstützt. Der Aufbau des Netzwerks wurde von Stars 4 Media gefördert und von Arena for Journalism in Europe begleitet. An dieser Veröffentlichung beteiligt sind neben dem Tagesspiegel Irpi Media (Italien), Mediapart (Frankreich), Reporters United (Griechenland) und El Salto (Spanien).

Das Team

Nina Breher
Text und Recherche
Tamara Flemisch
Webentwicklung
Kirk Jackson
Webentwicklung
Lennart Tröbs
Design
Veröffentlicht am 26. Juni 2023.
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