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Hotspots und Rechte

Hängen AfD-Hochburgen und hohe Coronazahlen zusammen?

Eine Auswertung von Forschern legt nahe, dass in Landkreisen mit großer AfD-Wählerschaft auch die Fallzahlen höher sind. Was ist dran an der These? Wir rechnen nach.
Eine Auswertung von Forschern legt nahe, dass in Landkreisen mit großer AfD-Wählerschaft auch die Fallzahlen höher sind. Was ist dran an der These? Wir rechnen nach.
Zwei Deutschlandkarten, einmal eingefärbt nach Fallzahlen je Landkreis und einmal nach AfD-Wählerstimmen bei der Bundestagswahl 2017. Foto: Tagesspiegel Innovation Lab
Der AfD-Abgeordnete Frank Grobe im hessischen Landtag am 5. Mai mit rassistischem Anti-Corona-Spruch vor seinem Gesicht. Foto: picture alliance/dpa

Der Lockdown light hat seine nötige Wirkung verfehlt, die Fallzahlen steigen schneller statt langsamer. Das heizt nicht nur die Angst vor einer dramatischen Weihnachtszeit (mehr dazu hier) mit noch höheren Todeszahlen an, sondern auch die Suche nach den Ursachen für das Scheitern. Sind die Regeln zu weich? Oder werden sie von zu vielen ignoriert? Und immer wieder die Frage: Lässt sich etwas über die Bevölkerungsgruppen sagen, die sich besonders wenig zurückhalten?

Wo die AfD stärker ist, gibt es derzeit mehr Neuinfektionen

Besonders stark diskutiert wird derzeit eine Kurzauswertung von Forschern am Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) Jena. Deren Direktor Matthias Quent veröffentlichte auf Twitter eine Analyse, die nahelegt, dass es einen Zusammenhang zwischen hohen Coronazahlen und AfD-Anhängerschaft geben könnte. Genauer gesagt zeigt die Datenanalyse seines Kollegen Christoph Richter, dass in Kreisen mit höheren Corona-Inzidenzen (Stand 4.12.) auch die AfD häufig höhere Stimmenanteile bei der Bundestagswahl 2017 erreichte. Besonders im sächsichen Landkreis Bautzen, dem Erzgebirge sowie im thüringischen Hildburghausen explodierten die Fallzahlen in den letzten Wochen regelrecht. Dort konnte auch die AfD bei der vergangenen Bundestagswahl hohe Stimmanteile gewinnen.

Diese Korrelation, dieses Zusammenfallen von erfolgreicher AfD und hohen Fallzahlen, gibt es in allen Bundesländern mit Ausnahme von Bremen und Niedersachsen, so die IDZ-Analyse. Weil das nicht ganz einfach zu verstehen ist und trotzdem so relevant, erklären wir das hier etwas ausführlicher – und haben nach weiteren Zusammenhängen gesucht.

Auf der folgenden Deutschlandkarte sehen Sie die Landkreise, eingefärbt nach den neuen Coronazahlen pro Kopf und den Stimmanteilen der AfD. Wenn Sie zwischen den beiden Ansichten Hin- und Herschalten, werden Sie sehen, dass tatsächlich viele AfD-Hochburgen in den letzten drei Monaten auch hohe Fallzahlen pro Kopf verzeichenen. Wenn Sie auf die Landkreise klicken, können Sie sich die genauen Werte anschauen.

Einzelfälle sind es also sicher nicht. Aber offensichtlich auch nicht die einzige mögliche Erklärung. Denn es gibt diesen Zusammenhang nicht in allen Landkreisen. Bereits in seinem ausführlichen Twitter-Thread warnt Quent vor voreiligen Schlüssen. Korrelation bedeutet nicht automatisch Kausalität, ein solcher rechnerischer Zusammenhang heißt nicht zwangsläufig, dass das eine seine Ursache im anderen hat. Im Klartext: Nur, weil in einem Landkreis viele AfD-Treue wohnen, heißt das nicht, dass sie es sind, die den Virus bekommen – oder dass sie daran Schuld sind. Es könnte reiner Zufall sein oder eine gemeinsame Ursache in etwas anderem haben, beispielsweise in niedrigerem Einkommen oder medizinischen Unterschieden.

Um das stärker auszuschließen, müsste man idealerweise die tatsächlich Infizierten nach ihrer Parteipräferenz fragen. Das tut das RKI jedoch nicht, wie Lothar Wiehler auf seiner letzten Pressekonferenz bestätigte.

Besonders im Osten fallen Fallzahlen und AfD zusammen

Noch stärker wird der Zusammenhang zwischen hohen Fallzahlen und AfD-Wählerschaft, wenn man die Landkreise nach Ost- und West unterscheidet. Wir zeigen daher hier eine ähnliche Darstellung wie in der Studie. Wir haben außerdem gegengerechnet, ob es ähnliche Zusammenhänge auch bei anderen Parteien gibt. Auffällig ist, dass es diesen starken Zusammenhang nur bei der AfD gibt, wie Sie in der folgenden Darstellung selbst nachschauen können. Neben der Analyse für die AfD können Sie sich dieselbe Darstellung auch für die anderen im Bundestag vertretenen Parteien ansehen. Die Verteilung ist dort weniger konsistent, es ließe sich keine sonderlich sinnvolle Linie hindurchlegen.

Ist der Zeitauschnitt nicht viel zu kurz?

Bei der Analyse des IDZ wurden nur die Zusammenhänge zwischen neuen Fallzahlen von einer Woche (7-Tage-Inzidenz) gerechnet. So ein kurzer Zeitraum macht es wahrscheinlicher, dass es sich um einen Zufall handelt. In der obigen Grafik haben wir deshalb mit den aktuelleren, von uns erhobenen Fallzahlen der Tage danach gerechnet und in der Karte sogar die gesamtem vergangenen drei Monate einbezogen. Die Ergebnisse unterscheidet sich kaum von der Kursanalyse des IDZ. Außerdem haben wir die Analyse mit den Gesamtfallzahlen pro Landkreis und Kopf seit Beginn der Pandemie wiederholt. Auch hier zeigt sich ein starker Zusammenhang.

Ein weiterer Kritikpunkt an der Analyse: Die Bundestagswahl 2017 ist lange her. Die AfD-Zustimmung in manchen Regionen könnte sich in der Zeit verändert haben. Also haben wir die Analyse noch mal mit den Wahlergebnissen der Europawahl 2019 wiederholt. Das Ergebnis unterscheidet sich ebenfalls nur marginal. Im Nachfolgenden können Sie die Daten selbst vergleichen.

Der neue Schwerpunkt Ost

Während die Analysen zeigen, dass es sowohl im Osten wie im Westen einen Zusammenhang zwischen AfD-Erfolgen und Coronazahlen gibt, zeigt sich ebenso deutlich: Im Osten ist der Zusammenhang wesentlich stärker. Das ist besonders interessant, weil es zu Beginn der Pandemie lange andersherum aussah. Monatelang waren die Fallzahlen in den „Neuen“ Bundesländern tendenziell niedriger als in den „Alten“. Diese Dynamik hat sich in den letzten Wochen radikal umgekehrt:

Corona-Neuinfektionen im Osten vs. Westen
Die Kurven zeigen die durchschnittliche Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner*innen innerhalb der vergangenen sieben Tage. Die Werte aus Berlin, Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen ergeben die Zahl für Ost. Die restlichen, alten, Bundesländer addieren sich zum Wert für den Westen Deutschlands.
Daten: Risklayer, CEDIM (KIT), Tagesspiegel

Warum sich dieser Zusammenhang erst in der zweiten Welle so stark ergibt, ist schwer zu erklären. Interessant ist, dass viele Landkreise, die jetzt hohe Fallzahlen hatten, in der ersten Welle eher wenig Fälle verzeichneten. Es könnte also sein, dass sich das Virus dort später verbreitet hat, oder die Akzeptanz der Maßnahmen erst später sank. Aber das sind nur Thesen.

Spannend ist in dem Zusammenhang, dass die AfD die Coronaskeptiker ebenfalls erst im Verlauf der Pandemie als Zielgruppe für sich entdeckte, wie ein kürzliches Dossier der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung für Baden-Württemberg zeigt.

Die Verschwörungstheorien zu Corona kamen demnach nicht aus der AfD, sondern die AfD entdeckte sie als Potenzial, Einfluss zu gewinnen und sie für sich zu nutzen, so das Papier. Dass AfD-Wähler umgekehrt für Verschwörungstheorien empfänglicher sind, legte sowohl eine Studie der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung als auch eine Studie des Kompetenzzentrums für Rechtsextremismus- und Demokratieforschung an der Uni Leipzig nahe. Beides sind sehr unterschiedliche Organisationen mit sehr unterschiedlichen Geldgebern und Interessen.

Ähnlich beschreibt das auch der Soziologe Alexander Yendell von der Uni Leipzig. „AfD-Wähler fühlen sich besonders eingeschränkt durch die Maßnahmen und sind mehrheitlich gegen die aktuellen Corona-Schutzmaßnahmen”, sagt er. „Es gibt einige Studien zu den Querdenkern, die Hinweise darauf liefern, dass unter den Anhängern besonders viele AfD-Wähler sind.” Er sieht einen starken Zusammenhang zwischen der Ablehnung der Corona-Maßnahmen und der Wahl der AfD, sowie ein starker Hang zu Corona-Verschwörungstheorien unter AfD-Wählern. Es läge nahe, dass AfD-Wähler tendenziell die Gefahr unterschätzen oder für nicht gegeben halten.

Das könne ebenfalls bedeuten, dass deren Einstellungsmuster auch in Zusammenhang mit der Nichteinhaltung von Hygienemaßnahmen stehen, was wiederum die Fallzahlen nach oben schnellen ließe. Dass diejenigen, die an Verschwörungstheorien glauben auch häufiger die Coronamaßnahmen ablehnen, hat die COSMO-Studie der Uni Erfurt gezeigt, die regelmäßig Menschen zu ihrer Einstellung zu Corona befragt.

Die Abgehängten?

Spannend dabei ist, dass der Zusammenhang zwischen Fallzahlen und AfD-Wählerschaft wesentlich stärker ist als andere klassische demografische Variablen. Um die These weiter zu prüfen, haben wir die Fallzahlen pro Landkreis noch gegen andere Faktoren gerechnet. Der Anteil von Hartz-IV-Empfängern pro Landkreis ergibt beispielsweise nur einen sehr schwachen Zusammenhang. Landkreise mit höheren Durchschnittseinkommen hatten lange sogar tendenziell höhere Fallzahlen als solche mit niedrigem. Das ändert sich derzeit aber. Dadurch ist es dort schwerer, einen Zusammenhang auszuschließen oder anzunehmen. Hier wären repräsentative Befragungen extrem viel aussagekräftiger. Die Bevölkerungsdichte der Landkreise ergibt ebenfalls kaum einen Zusammenhang, wenn man sie gegen die Fallzahlen rechnet.

Ein weiterer Zusammenhang könnte die Erkenntnisse aus den IDZ-Analysen hingegen noch relevanter machen: Wir haben den Erfolg der AfD in den Landkreisen gegen das Mobilitätsverhalten pro Landkreis gerechnet – mithilfe anonymisierter Mobilfunkdaten der Analysefirma Teralytics (mehr Mobilitätsanalysen gibt es hier). Siehe da: In Landkreisen mit großer AfD-Wählerschaft ist die Mobilität in den ersten zwei Novemberwochen stärker angewachsen als in denen mit weniger AfD-Wählern. In vielen dieser Landkreise bewegen sich die Leute anscheinend sogar mehr als im Vorjahreszeitraum. Auch das kann trotz allem Zufall sein. Wenn es keiner ist, bedeutet das: Der Lockdown wird dort tatsächlich weniger beachtet.

Eine Politische Raumkultur?

Trotz all der starken Hinweise braucht es noch weit ausführlichere Studien, um auszuschließen, dass es wichtigere Zusammenhänge gibt, die hohe Coronazahlen und das Verhalten der Menschen in betroffenen Regionen erklären. Darauf weist Matthias Quent auch im Gespräch mit dem Tagesspiegel immer wieder hin. Gemeinsam mit seinen Kollegen und anderen Forschenden will er den Zusammenhängen zwischen Rechten und Corona in den nächsten Wochen noch ausführlicher nachgehen. „Die These ist aber durchaus plausibel, wenn man sieht, wie AfD-Politiker mit der Maskenpflicht umgehen“, sagt der Wissenschaftler.

Eine spannende Arbeitshypothese hat Quent trotzdem schon: „Unsere These ist, dass es eine demokratieferne lokale Raumkultur gibt. In diesen Gegenden fühlen sich viele im Widerstand und es gibt eine größere Bereitschaft zu illiberalem und unkonformem Verhalten”, sagt er. Wenn in Regionen sehr viele rechts wählen, habe das auch Alltagsbezüge für die anderen Menschen dort. Es bilde sich eine lokale Kultur, die sich im Widerstand zu einer vermeintlichen Einheit aus Merkel, Medien und Eliten sieht. Das wiederum begünstige sowohl den Erfolg der AfD als auch die Missachtung von Coronaregeln.

Aber das muss man alles erst genauer prüfen, sagt Quent. Im Gegensatz zu manchem Maskengegner will er Dinge erst mit Sicherheit sagen, wenn er sie mit Fakten belegen kann.

Über die Autorinnen und Autoren

Eric Beltermann
Produktion
Hendrik Lehmann
Recherche & Text
David Meidinger
Datenanalyse & Produktion
Helena Wittlich
Produktion & Datenrecherche
Veröffentlicht am 12. Dezember 2020.
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