Immobilienanalyst Thomas Beyerle, 55, sitzt im Homeoffice in seinem Einfamilienhaus – Frankfurter Speckgürtel, Blick auf den Berg Altkönig. Beyerle beobachtet und analysiert den Immobilienmarkt, forscht und lehrt zu Immobilien, spricht auf Konferenzen und in Podcasts über sie – vor allem aber verdient er sein Geld mit ihnen. Beyerle ist Head of Research des schwedischen, multinational agierenden Investmentunternehmens Catella und Geschäftsführer der Catella Property Valuation GmbH. Er ist auch Professor für Immobilienwirtschaft an der Hochschule Biberach, Präsident der Gesellschaft für immobilienwirtschaftliche Forschung und war bis vor kurzem Co-Host des Immobilien-Podcasts „Die Haus-Meister“.
Catella ist ein börsennotiertes Finanzunternehmen, das sich auf Immobilienberatung und Fondsverwaltungen spezialisiert hat. Es verwaltet rund 12 Milliarden Euro und ist in 13 Ländern aktiv.
Herr Beyerle, als das Bundesverfassungsgericht 2021 den Mietendeckel gekippt hat, haben Sie eine Flasche Wein gewonnen. Sie hatten gewettet, dass es so kommen würde. Aber hatten sie darauf auch gehofft?
Ja, so war die Wette. Der Gewinn war rot, ein Franzose. Hat gut geschmeckt. Aber für das, was infolge des Deckels vielen passiert ist, Mietern wie Vermietern, hätte ich auf den Wein gerne verzichtet. Über Nacht ist das Angebot auf den Vermietungsplattformen eingebrochen – die Unsicherheit auf beiden Seiten hat deutlich zugenommen.
Der Berliner Senat hatte 2020 ein Gesetz beschlossen, das Wohnraummieten deckelte. War der Versuch, die explodierenden Hauptstadtmieten zu begrenzen, nicht ein nobles Unterfangen?
Es war ein politischer Versuch, der leider mit Schäden verbunden war. Man wollte eine politische Entscheidung treffen, keine marktökonomisch sinnhafte. Es ist wichtig, in extrem angespannten Märkten in den Mietmarkt einzugreifen. Aber bitte nicht zwischen Marzahn und Zehlendorf eine gleiche Miete! Das wäre verordnete künstliche Gleichmacherei.
Sie vertreten den internationalen Konzern Catella, der viel Geld mit Immobilien-Investmentberatung und Fondsverwaltung erwitschaftet. Gleichzeitig lehren Sie Immobilienwirtschaft an der Hochschule Biberach. In beiden Funktionen beschäftigen Sie sich damit, wie viel Immobilien wert sind – für Catella mit dem klaren Ziel, Geld damit zu verdienen. Sollte man Mieten eindämmen?
Vom Markt her betrachtet: Man muss definieren, wer aus eigenem Einkommen eine Miete nicht zahlen kann. Wo der Wohnungsmarkt angespannt ist, sollte gebaut werden und erst, wenn das nicht reicht, in den Mietmarkt durch soziale Wohnraumförderung eingegriffen, aber für eine spezielle soziale Gruppe. Wir nennen das „Subjektförderung“.
Regelt der Markt doch nicht?
Nicht in extrem angespannten Wohnungsmärkten, auch wenn manche Parteien das vorschlagen. Das Modell Deutschland war immer die soziale Marktwirtschaft. Wenn alle nach Berlin wollen, würden, ökonomisch betrachtet, die sozial Schwächeren herausgedrängt an den billigeren Stadtrand. Pointiert formuliert: Es entstehen extreme Ungleichgewichte zwischen brennenden Mülltonnen und Porsche. Mietenregulierungen verhindern das teilweise.
Als leitender Mitarbeiter einer Investmentfirma leben Sie aber doch von hohen Mieten.
Korrekt. Vor allem aber leben wir von der Erwartungshaltung, dass die Mieten weiter steigen, es geht nicht primär um die Höhe. Es gibt diesen netten Spruch: Vor jeder Investition steht eine Spekulation. Die Immobilienwirtschaft mag Berlin aus einem ökonomisch einfachen Grund: Die Mieten sind, verglichen mit anderen Städten, noch immer günstig. Ich weiß, das hören viele nicht gerne, ist aber Fakt. Wir spekulieren darauf, dass die Berliner Mieten sich entwickeln wie die in Oslo, London oder München. Der Kapitalmarkt liebt Berlin – und natürlich lebe ich davon. Die Frage ist, wann aus einer Spekulation eine böse Investition wird.
Wann denn?
Sobald eine breite Masse von der Nachfrage ausgeschlossen wird oder es kaum noch Angebote gibt, da politisch motiviert, nichts gebaut wird. Dann sollte man diesem Markt, aber auch den politisch Aktiven, Grenzen aufzeigen.
Andere würden sagen: Die Politik müsste internationalen Wohnungsunternehmen, die Bestände aufkaufen, um sie weiterzuverkaufen und Gewinn zu machen, Grenzen aufzeigen.
Klar sollte sein: Wenn es nur um schnellen Gewinn durch Weiterverkäufe geht, ohne in die Objekte zu investieren, sehe ich berechtigte Kritik.
Kaum Angebot, hohe Preise: Das ist die Lage in vielen europäischen Großstädten.
Das Angebot reicht bei weitem nicht. Die Tatsache, dass kaum gebaut wurde, spielt mit rein. Sobald sich die Kräne mehr drehen, also wenn mehr Angebot kommt, werden die Preise sich stabilisieren, zumindest mittelfristig.
Aber die Kräne drehen sich doch. Bloß ziehen sie teure Apartmentkomplexe hoch, nicht Mietwohnungen für alle. In ganz Europa entstehen zum Beispiel private Studierendenwohnheime und sogenannte Micro-Living-Apartmentkomplexe. Darin: winzige Wohnungen zu hohen Quadratmeterpreisen. Der Sektor boomt.
Logisch. Auf wenigen Quadratmetern kommen Sie damit auf extrem hohe Erträge. Studierendenwohnheime mit 18- bis 24-Quadratmeter-Apartments sind derzeit das lukrativste Investment im Immobilienbereich. Die Nachfrage ist sehr hoch. Und: Haben Sie mal deren Durchschnittsmieten ausgerechnet?
Bis zu 50 Euro pro Quadratmeter in Berlin. In einem Fall sogar 74. Längst wohnen dort nicht mehr nur Studierende, sondern auch Erwerbstätige.
Das Konzept Student Housing vermischt sich mit Ein-Personen-Haushalten, die Grenze ist fließend. Ein-Personen-Haushalte sind für Immobilienwirtschaft besonders interessant. Ihr Anteil liegt in den Ballungsräumen bei knapp 60 Prozent.
Bleibt die Nachfrage nach Mietwohnungen auch in Zukunft so hoch?
Sie wird sogar steigen. Die breite Masse der jungen Menschen wird mieten. Wir glauben stark daran – das ist jetzt auch wieder Spekulation –, dass die Menschen, die in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren in den Arbeitsmarkt eintreten, in der Summe eher potenzielle Mieter sind.
Deutschland ist schon jetzt das EU-Land mit der höchsten Mieterquote, 57,9 Prozent sind Mieterhaushalte.
‚Bildet Eigentum‘ – das war immer die politisch sinnhafte Ideologie. Die Deutschen wohnen offensichtlich aber lieber zur Miete. Mit der jungen Generation wird das noch dramatischer. Die halten sich die Möglichkeit offen, morgen für einen Job die Stadt zu wechseln. Da heißt es dann nicht, ich kauf‘ eine Wohnung und zack, nach der Probezeit verkaufe ich sie wieder.
Viele, vor allem junge Menschen, können sich Wohneigentum einfach nicht leisten.
Die hohe Inflation befeuert das zweifelsfrei. 20 Prozent der „Häuslebauer“, in Deutschland mittlerweile durchschnittlich 36 bis 38 Jahre alt, sind in den vergangenen zwölf Monaten rausgefallen. Wir nennen sie Schwellenhaushalte: Sie sind gerade so an der Schwelle, sich Eigentum leisten zu können, etwa, wenn Oma noch was dazugibt oder man von der Großtante geerbt hat. Diese 20 Prozent sagen jetzt, wo die Inflation hoch ist und die Bauzinsen gestiegen sind: Kaufen geht gerade ökonomisch nicht. Und steigen gezwungenermaßen auf Mieten um. Das sehen wir in Zahlen: Durch den Zinsanstieg Mitte 2022 hat der Anteil der Mietgesuche in den gängigen Angebotsplattformen deutlich zugenommen.
Ist das der Beginn einer neuen Immobilienkrise?
Nein, aber die Preise geben nach. Projektentwickler, die 2018, 2019, 2020 Grundstücke gekauft haben, können beim Verkauf der frisch gebauten Immobilien ihre Quadratmeterpreise nicht mehr unmittelbar durchsetzen.
Fallen die Preise also bald?
Sie tun es schon, bisher allerdings nur in nicht unbedingt attraktiven Lagen oder in unsanierten Gebäuden – 40 Jahre alt. Doch auch in den sogenannten guten Lagen hat sich der Vermarktungszeitraum deutlich erhöht.
Zurück nach Berlin. Hier steht eine Wiederholungswahl an, die Politik hat ihr Versprechen im vergangenen Jahr nicht erfüllt: Im Koalitionsvertrag hatte der Senat sich das Ziel gesetzt, 20.000 neue Wohnungen pro Jahr zu bauen. Schon kurz nach Beginn der Legislaturperiode gab er das Ziel auf, wegen Materialknappheit und Inflation, hieß es. Eine bequeme Ausrede?
In den vergangenen acht Monaten war das eine ökonomisch rationale „Ausrede“. Natürlich hätte man weiter bauen und sagen können: Jetzt kostet es mehr, wir müssen Sonderposten im Haushalt freimachen.
Anders gefragt: Tun Berlin und der Bund genug, um neue Wohnungen zu bauen?
Immerhin tun sie kommunikativ genug. Sie machen Ankündigungen. Die 20.000 Neubauten in Berlin sind wie die 400.000 neuen Wohnungen, die der Bund versprochen hat. Auch der Bund hat im Januar 2023 das Ziel der 400.000 einkassiert, 2022 wurden nur 250.000 gebaut. Beide Ziele waren nicht erreichbar, weil man mit den dahinterliegenden Prozessen nicht hinterherkommt.
Die Prozesse?
Genehmigungen, Gesetze, Einspruchsfristen: Ökonomisch betrachtet sind die Prozesse in Deutschland extrem lang, wahrscheinlich die längsten in Europa. Mit Einsprüchen, die mehrheitlich demokratisch berechtigt sein müssen, gehen wir zu langatmig um. Genehmigungsverfahren des Baugesetzbuches müssen dringend angepasst werden. Grundsätzlich sollte man Nachverdichtung Vorrang geben, statt Grünflächen neu zu besiedeln. In Berlin gibt es Potenzial zum Nachverdichten für 100.000 Wohnungen. Da ist zum Beispiel diese große, mir unerklärlicherweise ideologisch verklärte, quasi baumfreie versteppte „Wiese“, formally known als Tempelhofer Flughafen.
Sie meinen das Tempelhofer Feld. Nachdem der Flughafen in der Berliner Innenstadt zumachte, gab es einen Volksentscheid, der vorgibt, dass das Flugfeld unbebaut bleibt. Heute ist es ein Park, 300 Hektar groß.
Ob der Begriff „Park“ angebracht ist, darüber lässt sich streiten. Die Entscheidung war dem politischen Zeitgeist geschuldet. Heute wäre es an der Zeit zu sagen: Lasst uns vielleicht doch am Rand über punktuellen Wohnbau nachdenken. Im Moment ist der Druck anscheinend noch nicht hoch genug in Berlin.
Wäre es nicht bequem, das Tempelhofer Feld zu bebauen, weil da schon Infrastruktur ist und man sehr lukrativ bauen könnte, statt gegen politischen Widerstand Industrieflächen umzuwidmen oder am Stadtrand zu bauen inklusive neuer U-Bahnlinien?
Ich nicke und widerspreche gar nicht. Ich sage auch nicht, dass das Feld zugebaut werden soll. Wir reden von maximal 20 bis 25 Prozent Randbebauung. Auf keinen Fall ganz zubauen, das sähe beim ehemaligen Flughafen Tegel im Norden der Stadt schon wieder anders aus. Da ist ja schon viel betoniert, da kann man Gewerbe ansiedeln.
In Tempelhof geht es um die Randbebauung, die etwa Berliner CDU und FDP fordern. Auch die SPD wollte den Volksentscheid zuletzt neu verhandelt wissen.
Aus Investorensicht gesprochen: Warum schreibt Berlin nicht vor, Ihr könnt am Rand 5.000 Wohneinheiten bauen, davon werden 3.000 auf zehn Jahre gedeckelt mit z.B. zwölf Euro pro Quadratmeter? In dem Moment würden viele Investoren sagen, ja, da machen wir mit! Und würden schauen, dass wir so bauen, dass es billiger wird.
Die Erfahrung vieler Bürger*innen dieser Stadt ist eine andere: Neubau schön und gut, aber da entstehen nur Luxuswohnungen, die man sich eh nicht leisten kann.
Das ist sicher auch ein Resultat der Nullzinswelt bis Mitte 2022. Bildlich gesprochen: Wir bauen bei Wohnungen in Deutschland immer nur den Porsche, keine Golfs – also qualitativ extrem hochwertig. Auch das liegt an den Bauvorgaben. Alles muss dreimal gedämmt sein, die Energievorschriften ändern sich ständig – Investoren müssen das schon beim Bau mit einkalkulieren. In den vergangenen Jahren haben die Leute für den Porsche bzw. diese Wohnungen ja auch bezahlt. Würde man einfacher bauen, zum Beispiel modular, könnte man rund 30 Prozent Kosten einsparen.
Ist es wirklich so einfach: Müssen sich einfach nur genug Kräne drehen, muss nur genug gebaut werden, dann wird Wohnen in Großstädten langfristig wieder bezahlbar?
Ich muss Sie enttäuschen. Bis 2030 tritt die Babyboomer-Generation in den Ruhestand. Ihre Kinder sind aus dem Haus, der Garten ist ihnen plötzlich zu groß. Jetzt sagt die Frau: ‚Thomas! Wir verkaufen das große Haus! Lass uns eine schöne Stadtwohnung kaufen, mit kurzen Wegen zum Arzt, und ins Theater gehen!‘ In dem Moment treffen die Boomer auf die junge Generation, die schon in den Städten lebt. Die haben mittlerweile einen Kinderwunsch und wollen im Kiez bleiben. Und jetzt kommen die Boomer, haben am Stadtrand 1,3 Millionen Euro bekommen für das frei stehende Häuschen. Die Nachfrage steigt an. Aus ökonomischer Sicht ist klar, wer den Zuschlag für die Innenstadt-Dreizimmerwohnung bekommt.
Die Boomer. Was wird aus den Großstadt-Millennials?
Entweder sie gehen in den Preiswettbewerb – neue Preisobergrenzen sind das Resultat. Oder sie wandern ab in den Speckgürtel oder noch weiter. Kurz hinter Falkensee gibt es dann eine schöne Doppelhaushälfte, überschaubares Grundstück, aber Kindergärten in der Nähe.
Herr Beyerle, werden die Babyboomer die Millennials aus den Städten verdrängen?
Aus meiner Sicht: Ja, die Gefahr ist da. Nicht alle werden ihre Häuser verkaufen und nach Berlin ziehen. Aber die Nachfrage nach Zwei- bis Dreizimmerwohnungen steigt. So viele können gar nicht rausziehen, wie reinziehen werden.
Also ist Ihr Tipp, jetzt Zwei- bis Dreizimmerwohnungen in Großstädten zu kaufen?
Kaufen Sie eine Neubau-Stadtwohnung, zwei oder drei Zimmer. Aber als Anlage. Sie selbst bleiben Mieter. Vermieten Sie ihre Wohnung und tilgen Sie damit den Kredit. Aber Vorsicht: Auf keinen Fall „Stuck“ kaufen, also gründerzeitlich! Da haben sie oft einen Sanierungsstau, die Energiekosten tun ihr übriges in der Kalkulation. Die sehr alten Gebäude müssen energieeffizienter gemacht werden, das kostet. Kaufen Sie lieber eine kleine Neubauwohnung an einem Verkehrsknotenpunkt, etwa hinter dem Hauptbahnhof oder am Gleisdreieck, zentrale Lage. Oder, bei einem stabilen Nervenkostüm, natürlich Immobilienaktien.
Die sind gegenwärtig durch die Krise ordentlich gefallen. Eine Vonovia-Aktie kostet im Vergleich zum Vorjahr 46 Prozent weniger…
Die sind durch die Bank weg um rund 50 Prozent gefallen. So günstig kommen sie an die Wohnungsaktien nie wieder ran.
Dieser Artikel wurde als Teil des European Cities Investigative Journalism Accelerator (ECIJA) produziert. Wir sind ein Netzwerk europäischer Medien, das sich der Recherche gemeinsamer Herausforderungen europäischer Großstädte und Länder widmet. Das Projekt ist eine Fortführung der europäischen Recherche Cities for Rent und wird vom Stars4Media-Programm gefördert. Das Tagesspiegel Innovation Lab leitet dabei die Datenrecherche und –visualisierung des Netzwerks. In unserer neuen Recherche widmen wir uns dem Thema Studentenwohnen.