Es ist die erste Weltmeisterschaft die nicht im Sommer, aber dafür in der Wüste ausgetragen wird. Fifa und Katar behaupten außerdem: Es wird die erste „Zero Impact WM“ sein. Damit meinen die Organisatoren, dass die Emissionen durch Bau der Anlagen, Durchführung des Turniers und Entsorgung einiger Bauwerke am Ende der Veranstaltung durch die Finanzierung ökologisch nachhaltiger Projekte in der ganzen Welt kompensiert werden sollen.
Diese Recherche italienischer Investigativjournalisten von IrpiMedia und der Satellitenanalysefirma Placemarks legt nahe, dass die Behauptungen einer klimaneutralen WM in Katar unwahrscheinlich sind. Der tatsächliche Landverbrauch und die bisher veröffentlichten Emissions-Prognosen widersprechen sich teilweise. Auch laut Analysten von Carbon Market Watch ist die Behauptung, dass eine solche Veranstaltung kohlenstoffneutral ist, nicht glaubwürdig, „da die Fifa und Katar die Menge des ausgestoßenen Kohlendioxids und die Art und Weise, wie die Organisatoren es ausgleichen wollen, irreführend“ eingeschätzt hätten.
Zweiunddreißig teilnehmende Mannschaften, acht Stadien in fünf Städten, 64 Spiele in 28 Tagen, 1,2 Millionen erwartete Zuschauer. Das Versprechen der ersten „grünen Fußballweltmeisterschaft“ wird seit Dezember 2010 in regelmäßigen Abständen wiederholt. Sie soll CO2-neutral sein.
Ein inzwischen nicht mehr verfügbarer Bericht (hier archiviert einsehbar), der im September 2021 auf der offiziellen Website der WM veröffentlicht wurde, beschreibt verschiedene Strategien zur Erreichung dieses Ziels.
Der Einsatz moderner Umweltschutztechniken beim Stadionbau, die Kompensation des Kohlendioxidausstoßes durch nachhaltige Energieprojekte, die von der Fifa und Katar finanziert werden – und der „kompakte“ Charakter des Turniers, weil Fans und Mannschaften nur kurze Wege zwischen den Stadien zurücklegen müssen, die alle innerhalb eines Radius von 50 Kilometern um Doha liegen. Das soll Inlandsflüge und weite Anreisewege vermeiden.
Nur zwei der acht WM-Stadien existierten zuvor. Jedoch wurden die beiden existierenden Stadien Ahmed bin Ali und Khalifa International Stadion ebenfalls nochmals sehr aufwändig für die WM renoviert. Die anderen sechs Stadien wurden von Grund auf neu gebaut.
Im Bericht über die voraussichtlichen Treibhausgasemissionen haben Fifa und Katar insgesamt 3,6 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente an Treibhausgasen beziffert, die von der ersten Bauphase bis zum Abbau des gesamten Wettbewerbs in die Atmosphäre gelangen. Davon würden 893.000 Tonnen für den Bau der permanenten Stadien, das Mehrweg-Stadion 974 und den anschließenden Abbau eines Teils der Tribünen fast aller Sportstätten anfallen. Insgesamt würden diese Posten 25 Prozent der Gesamtemissionen ausmachen. Aber das ist auffällig wenig für diese logistische Großoperation.
Gilles Dufresne bezeichnet diese methodischen Überlegungen als „unlogisch“. Er ist Forschungsleiter bei Carbon Market Watch, einer gemeinnützigen Vereinigung, die sich mit dem Energiemarkt befasst. Die CO2-Menge, die allein für den Bau der permanenten Stadien emittiert wird, ist laut Carbon Market Watch weitaus höher als von der Fifa und Katar vorhergesagt. Sie gehen von über zwei Millionen Tonnen aus statt den 893.000 Tonnen, die Katar und Fifa nennen (Hier der vollständige Bericht).
Die Erklärung für die Differenz könnte laut Dufresne unter anderem in dem von der FIFA verwendeten Ansatz zur Berechnung der CO2-Produktion liegen. Unter der Annahme, dass die Lebensdauer der Anlagen etwa 60 Jahre beträgt, hätten die Organisatoren die Emissionen aus der Bauphase möglicherweise auf die gesamte Lebensdauer der Anlagen verteilt. Der Fußballweltmeisterschaft würden nur ungefähr die Emissionen eines Monats zugerechnet.
Denn ohne eine solche Erklärung gäbe es Widersprüche in den Aussagen der Veranstalter. Im „Greenhouse Gas Emission Analysis of a Demountable FIFA World Cup TM Stadium“ heißt es beispielsweise, für den Bau eines permanenten Stadions fielen normalerweise ungefähr 270.000 Tonnen Emissionen an. Wenn aber sechs neue Stadien für die WM gebaut wurden, müsste man auf mindestens 1,6 Millionen Tonnen Emissionen kommen. Und das Mehrwegstadion kommt noch dazu.
Damit würde der Stadionbau Platz eins in den Emissionen einnehmen statt Platz drei im WM-Bericht. Die Gesamtemissionen des Turniers entsprechen der Menge, die Länder wie Zypern, Panama oder Liberia jährlich emittieren. „Und das sind mit ziemlicher Sicherheit Schätzungen nach unten“, fügt Dufresne hinzu.
IrpiMedia und Placemarks haben anhand dieser Satellitenbilder berechnet, dass rund acht Millionen Quadratmeter für die neuen Stadien, die dazugehörigen Gebäude, Plätze, Parkflächen und weitere Anlagen zubetoniert wurden. Am eindrucksvollsten ist dabei das Al-Bayt-Stadion, das eine Fläche von 440.000 Quadratmetern einnimmt und von nicht weniger als 1,2 Millionen Quadratmetern neuer Parkflächen umgeben ist.
Dabei war der ökologische Fußabdruck bereits vor der Weltmeisterschaft beträchtlich: Katar ist das Land mit dem höchsten Kohlendioxidausstoß pro Kopf weltweit und hat einen der höchsten Wasserverbräuche pro Einwohner. 99 Prozent des Stroms werden aus fossilen Brennstoffen erzeugt wird.
Die Frage der abbaubaren Einrichtungen betrifft auch die errichteten Fan-Dörfer. Eines davon in der Nähe des Flughafens hat eine maximale Kapazität von 12.000. Die bisherigen Unterbringungsmöglichkeiten des kleinen Golfstaates erlauben es nicht, 1,2 Millionen Menschen unterzubringen, ohne alternative Einrichtungen zu schaffen.
Katar hat gerade einmal 2,7 Millionen Einwohner, weniger als Berlin. Sieben Fächerdörfer sind daher über das ganze Land verteilt und bestehen aus Zeltlagern, Containerdörfern und Mobilheimen. 200 bis 400 Dollar pro Nacht kostet ein Schlafplatz, je nach Ausstattung,. Außerdem wurde eine Partnerschaft mit MSC Crociere geschlossen, die in ihren Kreuzfahrtschiffen „Poesia“ und „World Europa“ insgesamt 3.898 Kabinen zur Verfügung stellen sollen.
Die Organisatoren behaupten, die 3,6 Millionen Tonnen Treibhausgasemissionen durch Emissionsgutschriften auszugleichen. Der Finanzierungsmechanismus dahinter stützt sich auf Zertifizierungsstellen, die die Entwicklung umweltverträglicher Projekte in der ganzen Welt registrieren, mit denen sie „weniger Umweltverschmutzung“ anstreben.
Mit dem Kauf dieser Produkte können Unternehmen Kohlenstoffneutralität kaufen. Der Mechanismus: Ein umweltschädliches Unternehmen kann, nachdem es die Menge an CO2 oder anderen Treibhausgasen, die es in die Atmosphäre ausstößt, berechnet hat, beschließen, diese teilweise oder vollständig durch den Kauf von Emissionsgutschriften auf dem Markt auszugleichen.
Von größter Bedeutung ist schließlich die Finanzierung ökologisch nachhaltiger Projekte durch die Ausgabe von Emissionsgutschriften sowie der Nachweis, dass diese Projekte sonst nicht realisiert worden wären.
Um die erforderliche Zahl von Emissionsgutschriften zu erreichen, haben sich die Organisatoren mit der in Katar ansässigen Gulf Organisation for Research and Development (Gord) zusammengetan und einen Ad-hoc-Standard für den Kreditmarkt geschaffen: den Global Carbon Council (GCC), die erste Zertifizierungsstelle auf dem Golfmarkt. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels sind auf der Website des GCC 587 Projekte aufgeführt, von denen nur fünf bereits „genehmigt“ wurden, was einer vorläufigen Gesamtzahl von Krediten für gerade einmal 540.000 Tonnen CO2-Äquivalenten entspricht. Das ist weit von den benötigten 3,6 Millionen.
„Die meisten Projekte auf der Warteliste erfüllen nicht das Kriterium der „Zusätzlichkeit“, erklärt Dufresne.” Sie seien bereits vorher angelaufen, unabhängig davon, ob sie Emissionsgutschriften ausgeben können. Die überwiegende Mehrheit solcher Projekte wird von zwei der bekanntesten Klimazertifikaten - Verra und Gold Standard - nicht mehr akzeptiert, da sie als irrelevant für den Ausgleich von Treibhausgasemissionen angesehen werden. Die Fifa und Katar haben das Problem umgangen, indem sie ein eigenes Gutschriftensystem geschaffen haben. Die Fifa hat angekündigt, dass sie 1,8 Millionen Credits über die GCC ausgeben wird, von der anderen Hälfte gibt es nicht einmal eine Spur.
Die Organisation der Fußballweltmeisterschaft wird sich auch auf den ohnehin fragilen Wasserhaushalt des Landes auswirken. Wasser ist ein chronisches Problem für die gesamte Region, das durch die Entfernung des Salzanteils aus dem Meerwasser gelöst wird. Nach Untersuchungen der Universität Katar werden 99 Prozent des im Persischen Golf verbrauchten Süßwassers in Entsalzungsanlagen „produziert“.
Das Verfahren ist eine massive Belastung für die Meere, bei der Sole, Schwermetalle und verschiedene Chloride freigesetzt werden, die den Korallenriffen und Meeresorganismen schaden. Katar verfügt derzeit über zwölf Entsalzungsanlagen, von denen die meisten mit fossilen Brennstoffen betrieben werden.
Um eine Vorstellung vom Energieverbrauch dieser Anlagen zu bekommen: Untersuchungen aus dem Jahr 2012 gehen davon aus, dass täglich 300.000 Barrel Öl benötigt werden, um die 30 Anlagen im benachbarten Saudi-Arabien zu betreiben.
Die Fußballweltmeisterschaft wird den Bedarf an Wasser noch erhöhen. Reuters schätzt, dass 10.000 Liter pro Tag benötigt werden, um den Rasen jedes Stadions zu pflegen, ganz zu schweigen von den zusätzlichen 130 Fußballplätzen in den Trainingszentren, in denen die 32 teilnehmenden Nationalmannschaften trainieren werden, und dem Wasser für die unzähligen Gärten, Grünflächen und Brunnen.
Katar hat nach wie vor einen der höchsten Pro-Kopf-Wasserverbräuche der Welt: 557 Liter pro Tag und Einwohner. Frankreich verbraucht 164, Australien 290 Liter.
Katar hat viel Sonne. Und die Bilder von Solarstromanlagen, mit denen die WM betrieben werden soll, wurden vielfach im WM-Marketing benutzt. Fakt ist: Der Solarstromsektor ist in Katar schwach. Vor der WM wurde nun das erste große Solarkraftwerk gebaut. Am 18. Oktober wurde es in Anwesenheit des Emirs eingeweiht. Es wurde von einem Konsortium realisiert, an dem neben zwei staatlichen Stellen die französische Totalenergies und die japanische Marubeni beteiligt sind.
Die Anlage Al Kharsaah mit ihren 1,8 Millionen Paneelen erstreckt sich über eine Fläche von 10 Quadratkilometern mitten in der Wüste etwa 80 Kilometer westlich von Doha. Sie hat eine Kapazität von 800 MWp. Wenn die Anlage vollständig in Betrieb ist, wird sie nach Angaben der Erbauer in der Lage sein, in der Spitze bis zu zehn Prozent des inländischen Energiebedarfs zu decken. Die katarische Regierung kündigte den Bau von zwei zusätzlichen Anlagen an.
Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass vor der Inbetriebnahme der Anlage in Al Kharsaah, d.h. während der gesamten Vorbereitungszeit auf die Fußballweltmeisterschaft, weniger als ein Prozent des Bedarfs durch erneuerbare Energien gedeckt wurde. Die installierte Solarstromkapazität betrug lediglich 5 MW.
Katar beabsichtigt, die Klimaanlagen in sieben Stadien mit Solarenergie zu betreiben (das Stadion 974 verfügt über ein natürliches Belüftungssystem). Dass Katar genug erneuerbare Energie für alle Teilnehmenden produzieren kann, ist ebenso eine Fata Morgana wie die Vorstellung von einer emissionsfreien WM.
Eine frühere Version dieser Recherche erschien zuerst bei IrpiMedia auf Italienisch.