Die magische Zahl dieser Coronatage heißt 50. Ab einer Inzidenz von 50 könnte es die ersehnten Lockerungen geben, also wenn innerhalb der vergangenen sieben Tage nur 50 neue Fälle pro 100.000 Einwohner:innen gemeldet wurden. „Wichtig ist doch, dass wir schnell auf die 50 kommen, damit wir über Öffnungen reden können, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel am Dienstag nach dem Bund-Länder-Treffen. Der Lockdown soll bis zum 14. Februar verlängert werden, um das zu erreichen.
Wenn man die Mutation sehr früh eindämmt, hält Angela Merkel es durchaus für möglich, dass die für Lockerungen gesetzte Zielmarke bis dahin erreichbar sein könnte. Ist das realistisch?
Um das besser einschätzen zu können, kann man mathematische Modellierungen zu Rate ziehen, die Prognosen für den Verlauf der Pandemie erstellen. Davon gibt es viele, eine ist der Covid-Simulator „CoSim“ der Universität Saarland. Thorsten Lehr, Professor für klinische Pharmazie, und sein Team haben es entwickelt. Und der Simulator zeigt: Bleiben wir diszipliniert, so könnte Merkels Prophezeiung tatsächlich eintreten.
Entscheidend für die Berechnungen ist der R-Wert. Den berechnen die Wissenschaftler:innen selbst, nutzen nicht den des RKI. Der R-Wert sei so etwas wie ein Beschleunigungsparameter, erklärt Lehr. Je größer dieser Wert, umso schneller schreitet die Pandemie voran. Je niedriger, umso schneller wird die Entwicklung gebremst.
Bleiben wir diszipliniert und halten den R-Wert bei einem aktuellen Stand von 0,76, kommen wir deutschlandweit am 15. Februar auf eine Inzidenz von 48,9 – pünktlich zum Ende des Lockdowns. Noch besser könnte es laufen, wenn wir es schaffen, den R-Wert auf 0,6 zu senken, auf den Wert, der im ersten Lockdown erreicht wurde. Dann wären wir schon sieben Tage früher am 8. Februar bei einer Inzidenz von 48,22.
Schlecht sieht es aus, wenn man von einem Anstieg des R-Wertes ausgeht. Das könnte zum Beispiel passieren, wenn die hoch ansteckenden Mutationen aus Großbritannien und Südafrika sich in Deutschland bereits weiter verbreitet haben als bekannt. Dann stiege die Inzidenz wieder an, die 50 würden in weite Ferne rücken.
Bei den Berechnungen handelt es sich um modellhafte Prognosen, wie die klaren Linien in der Grafik zeigen. Die Forscher nehmen dafür einen R-Wert für die nächsten Wochen an, der unter bestimmten Bedingungen realistisch erscheint – aufgrund von Berechnungen und Erfahrungen mit bisherigen Entwicklungen des R-Werts. Sie nehmen an, dass er konstant bleibt und projizieren ihn in die Zukunft. Doch der R-Wert schwankt sehr stark. Wahrscheinlich ist also immer eine Mischung der verschiedenen Modelle.
Außerdem wichtig: Die Infektionslage in den Bundesländern ist teilweise sehr unterschiedlich. Während in Thüringen die Inzidenz über 240 liegt, ist sie im Nachbarland Niedersachsen mit um die 100 nicht einmal halb so hoch. Das befeuert auch immer wieder Konflikte zwischen den Bundesländern, wenn es darum geht, sich auf gemeinsame Regeln zu einigen – ganz zur Verzweiflung der Kanzlerin.
Wendet man Lehrs Modell für diese beiden Länder an, zeigt sich: In Thüringen wäre bei gleichbleibendem R-Wert die Inzidenz von 50 erst am 4. März erreicht. In Niedersachsen schon am 9. Februar, obwohl das Land aktuell einen leicht höheren R-Wert hat.
In Sachsen-Anhalt, das Bundesland mit der zweithöchsten Inzidenz in Deutschland, liegt der R-Wert sogar bei 0,87. Eine Inzidenz von 50 wäre hier bei gleichbleibendem R-Wert erst am 29. März erreicht. Berlin wäre bei einem R-Wert von 0,77 für die kommenden Wochen am gleichen Tag schon bei einer Inzidenz von 11,9.
Natürlich kann es sein, dass der R-Wert in Sachsen-Anhalt in der nächsten Woche stark abfällt – oder der in Niedersachsen höher steigt. Wie genau sich der R-Wert und die Neuinfektionen entwickeln, können die mathematischen Modelle nicht definitiv vorhersagen. Zu viele Faktoren sind im Spiel, allen voran das unvorhersagbare menschliche Verhalten.
Solche Prognosen sind also eher wie Wetterberichte für die Pandemie. Aber sie führen uns vor Augen, was sein könnte, wenn alle diszipliniert bleiben und sich an die Regeln halten. Dann könnte der schlimmste Teil des Corona-Winters schon bald vorbei sein. Wenn nicht, könnte es sehr schnell Ostern werden, bevor die Läden wieder öffnen – ganz zu schweigen von den Kneipen.