Das Ringen um die effektivsten Maßnahmen gegen das Virus ist auch zu einem globalen Wettstreit geworden – und zur Systemfrage. Können autoritäre Systeme das Virus schneller bekämpfen als demokratische?. Welche Rolle spielt eigentlich der Reichtum der Länder bei der Bekämpfung der Pandemie? Eine interaktive Studie zeigt: Sowohl das politische System als auch die Wirtschaftsleistung spielen eine Rolle im Kampf gegen die Pandemie. Aber auch andere Faktoren machen einen wesentlichen Unterschied.
Mit dem „Covid Performance Index“ haben Alyssa Leng und Hervé Lemahieu vom australischen Lowy Institute nun versucht, die Erfolge der Länder in der Pandemiebekämpfung mithilfe von Daten zu bewerten. Eines der Ergebnisse: Demokratische Staaten kamen lange Zeit deutlich besser durch die Krise als autoritäre und sogenannte „hybride Staaten“ mit sowohl demokratischen wie autoritären Merkmalen. Allerdings näherten sich im Verlauf der Pandemie alle drei Staatengruppen trotz einem ähnlichen Wert an.
Für ihre Analyse haben die Wissenschaftler:innen insgesamt Daten aus 98 Ländern auf der ganzen Welt ausgewertet, jeweils zu den bestätigten Coronavirus-Fällen, der absoluten Anzahl an Coronatoten, den Coronafällen pro einer Millionen Menschen, den Coronatoten pro einer Millionen Menschen, der Anzahl der Corona-Tests im Vergleich zu bestätigten Coronafällen und der Anzahl der Coronatests pro 1000 Menschen. Entscheidend für die Auswahl der Länder war die vorhandene Datenlage. Für jedes Land wurde ein Wert aus den genannten sechs Faktoren gebildet, um einen Indikator zu bilden.
Auch wenn der Vergleich gewisse Einschränkungen hat – Meldesysteme und Teststrategien einzelner Länder können sich zum Teil stark unterscheiden – bietet er eine Annäherung an die Frage, welches politische System die Pandemie erfolgreicher bekämpft.
Der Gesamtdurchschnitt für die Zeit seit Beginn der Pandemie liegt für alle Demokratien mit einem Wert von 50,8 leicht über den autoritären Staaten mit einem Wert von 49,2 und den hybriden Staaten mit 41,6. Die australischen Wissenschaftler:innen weisen darauf hin, dass die getroffenen Maßnahmen sich in den verschiedenen Systemen zwar oft ähnelten, es allerdings sehr unterschiedlich war, wie die Bevölkerung zur Einhaltung der Coronaregeln gebracht wurde. Interessant ist, dass insbesondere Länder mit einem hybriden System wie Bolivien, Guatemala und die Ukraine besonders schlecht abschnitten.
Die Einteilung in demokratische, autoritäre und hybride Staaten hat das Team aus Sydney aus dem Democracy Index 2019 von der Economist Intelligence Unit übernommen, die die Einteilung nach den Kriterien Wahlsystem und Pluralismus, Bürgerrechte, Funktionsfähigkeit der Regierung, politische Teilhabe und politische Kultur vornehmen. Weiter unten im Text ist die Einteilung für die einzelnen Länder aufgeführt.
Ein weiterer Vergleich, den die Wissenschaftler:innen anstellten, berücksichtigt die Wirtschaftslage verschiedener Ländergruppen. Hierbei wurden die 98 Länder nach der Definition des Internationalen Währungsfonds in zwei Gruppen eingeteilt: Reichere Industrienationen mit einer starken Wirtschaft, zu deren Merkmalen etwa ein hohes Pro-Kopf-Einkommen gehört, und ärmere Länder mit einer eher schwachen Wirtschaft. Erstere konnten – wenig überraschend – mehr Mittel für die Pandemiebekämpfung aufwenden und kamen auch deswegen zu Beginn besser gegen das Coronavirus an. Doch auch das hat sich im Laufe der Zeit geändert, wie die folgende Grafik zeigt:
Die Länder mit einer starken Wirtschaft wurden zu Beginn der Krise auch deswegen verhältnismäßig plötzlich überrascht, weil der internationale Flugverkehr die Ausbreitung begünstigte. Ärmere Länder mit einer schwachen Wirtschaft, so schreiben es die australischen Wissenschaftler:innen, hatten meist etwas mehr Vorlauf in der Pandemiebekämpfung. Trotzdem erlangten die Länder mit einer starken Wirtschaft einen gewissen Vorsprung – der allerdings Ende des Jahres 2020 schwand. Auch Deutschland kann als Beispiel hierfür gelten. Während Deutschland noch verhältnismäßig gut durch die erste Welle kam, wurde es von der zweiten ungleich härter getroffen. Ähnliches erlebten auch andere europäische Länder wie etwa Dänemark oder die Niederlande, deren Fallzahlen zum Jahresende 2020 stark anstiegen und die Erfolge in der Virus-Eindämmung vom Sommer zunichtemachten.
Bei einem so breiten Index und einer solch breiten Verteilung der Fallkurven lohnt es sich, genauere Werte anzusehen. Wir haben deswegen zwei Datenvergleiche aus dem Armutsvergleich von Lowy anders nachgerechnet. Gruppiert man Länder in fünf Gruppen nach ihrem Bruttoinlandsprodukt, so zeigt sich: Insbesondere bei den reicheren Ländern schnellten die gemeldeten Infektionen in der zweiten Welle wesentlich rasanter wieder in die Höhe. Eine erhöhte Mobilität sowie durchlässigere Grenzen könnten unter anderem dafür verantwortlich sein:
Allerdings zeigen die Inzidenzen nur einen Teil der Wahrheit: Da reichere Länder mehr Ressourcen zur Verfügung haben, wird dort auch deutlich mehr getestet als in ärmeren Ländern. Dementsprechend fällt die Inzidenz in reicheren Ländern allein deswegen schon deutlich höher aus. Ein Blick auf die Anzahl der Corona-Tests pro Tag pro 1000 Menschen belegt das:
Spannend ist dabei aber, dass die Inzidenz nicht gleich stark ansteigt wie die Zahl der Testungen. So wurden pro Test trotzdem mehr Menschen positiv getestet, wenn sie in reicheren Nationen lebten. Hier verbreitete sich Corona also anscheinend wieder stärker. Die höhere Zahl der Tests alleine kann also nicht der Grund sein. Das sind allerdings nur Indizien – denn die Dunkelziffer pro Land ist nicht bekannt. Sie könnte unterschiedlicher sein als die eigentlichen Fallzahlen.
Interessant ist der Vergleich der Länder nach Bevölkerungsgröße: Große Länder – mit über 100 Millionen Einwohner:innen – schneiden der Lowy-Analyse zufolge mit deutlichem Abstand schlechter ab als mittelgroße Länder mit zehn bis hundert Millionen. Kleine Länder mit weniger als zehn Millionen Einwohner:innen schnitten noch besser ab. Der Wert der großen Länder liegt im Lowy-Index bei durchschnittlich 31,7, der der kleinen Länder bei 56,5. Dies ist der größte Unterschied, den die Wissenschaftler:innen in ihren Vergleichen ausmachten. Sie vermuten, dass er vor allem dadurch entsteht, dass internationale Grenzen undurchlässiger sind als Binnengrenzen – dementsprechend große Länder dadurch einer höheren Verbreitung des Virus ausgesetzt sind. Dem widerspricht jedoch der bahnbrechende Erfolg von China bei der Pandemiebekämpfung – zumindest, wenn deren Testzahlen stimmen.
Besonders gut schützen konnten sich – das zeigt die Einzelwertung der Länder – die Staaten, die überhaupt keine auf dem Land angrenzenden Nachbarländer haben: Inseln. Sechs der zehn Länder, die am besten abschneiden, sind Inselstaaten. Für Australien schreibt Wissenschaftler Hervé Lemahieu auf Twitter, allerdings, das Land habe nicht nur von der zufällig glücklichen geografischen Lage profitiert. Stattdessen sieht er den Erfolg darin begründet, dass innernationale Grenzen genauso behandelt wurden wie internationale. Im Vergleich dazu habe sich in Europa gezeigt, dass die offenen Grenzen, die sonst eine Stärke seien, die einzelnen Länder anfälliger für erneute Ausbrüche machten.
Das Ranking und die Klassifizierung der einzelnen Länder sind im Folgenden aufgeführt. Deutschland kommt dabei auf den 55. Platz der 98 Länder in der Studie:
Der Vergleich bleibt schwierig. Trotz aller nachvollziehbaren Unterschiede stellt auch die Wissenschaftlerin Alyssa Leng fest, „dass es keine einfachen Antworten darauf gibt, welche Länder besser oder schlechter abgeschnitten haben. Bestimmte Arten von Ländern sind nicht zum Scheitern verurteilt oder zum Erfolg bestimmt.“ Aber wenn ein Land in allen Auswertungen recht schlecht dasteht – so wie Deutschland – sollte man sich vielleicht Gedanken machen, woran es dann liegt.
Auch wenn sich die Länder unterschiedlicher Staatsformen und Wirtschaftsstärke mit der Zeit bei der Pandemiebekämpfung angeglichen haben, könnte doch bald ein entscheidender Faktor hinzukommen, der vor allem von Geld und Diplomatie abhängt: Der Impfstoff. „Reiche Länder könnten die Entwicklungsländer bei der Krisenbewältigung bald hinter sich lassen, indem sie massenhaft vielversprechende Covid-19-Impfstoffe horten. Das verheißt nichts Gutes“, schreibt auch Lemahieu dazu.
Wenn die Eindämmungsmethoden der Pandemie in vielen Ländern sehr ähnlich aussahen – Kontaktbeschränkungen, Lockdowns – so wird der Zugriff auf Impfstoffe wohl den entscheidenden Ausschlag geben, wer die Pandemie wann besiegt. Die G20-Nationen haben zwar immer wieder darauf verwiesen, dass sie eine gerechte Verteilung der Impfstoffe anstreben. Bisher sagen die Impffortschritte nach Ländern allerdings etwas sehr anderes. Aber eine globale Pandemie wird erst vorbei sein, wenn auch die Schwächsten geimpft sind. Die Alternative wären geschlossene Grenzen für viele weitere Jahre.