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Coronakrise am Arbeitsmarkt
Berlin bundesweit am Härtetesten von Corona-Arbeitslosigkeit betroffen

Noch nie wurde in Deutschland so viel Kurzarbeit beantragt wie in der Coronazeit. Die weniger Privilegierten trifft diese Krise besonders hart.

Nach wochenlangen Ausgangsbeschränkungen ruckelt sich das Leben langsam wieder in die Normalität zurück. Zumindest im öffentlichen Raum. Auf dem Arbeitsmarkt wird das noch dauern. Die Folgen der Coronakrise sind extrem. Und sie treffen diejenigen am härtesten, die sowieso schon wenig hatten.

Wie viele Menschen daraufhin tatsächlich in Kurzarbeit mussten, ist noch offen. Die Anzeigen entsprechen nicht der tatsächlichen Anzahl an Menschen, die in diesem Monat in Kurzarbeit waren. Diese Hochrechnungen werden erst mit zweimonatiger Verzögerung von der Bundesagentur für Arbeit (BA) veröffentlicht. Aber schon im März waren den Hochrechnungen zufolge 2.023.400 Menschen von 45 Millionen Erwerbstätigen in Deutschland in Kurzarbeit. Das sind 4,5 Prozent aller Beschäftigten – mehr als doppelt so viele, wie in der gesamten deutschen Automobilindustrie arbeiten, 500.000 Menschen mehr als zum Höhepunkt der Finanzkrise 2009. Dazu kommen diejenigen, die nicht nur weniger Arbeit haben, sondern ihren Job durch Corona völlig verloren haben. Nachdem seit Jahrzehnten die Arbeitslosenzahlen recht kontinuierlich gesunken sind, steigen sie seit April 2020 wieder an.

Kurzarbeit – eine hundert Jahre alte Notbremse

Es ist ein altes Modell, dass den Arbeitsmarkt in der Coronakrise möglicherweise vor noch schlimmerem bewahrt hat. Schon 1910 wurde in Deutschland die „Kurzarbeiterfürsorge” für einen Teil der Beschäftigten im Kalisalzbergbau eingeführt.

In der Finanzkrise 2009 erlebte die Kurzarbeit ihr großes Revival. Damals wurde das deutsche Konzept international populär. Andere Staaten initiierten ähnliche Sicherungssysteme. Das Modell der Kurzarbeit soll in Krisenzeiten die Unternehmen bei ihren Lohnkosten entlasten, damit sie ihre Mitarbeiter nicht entlassen. Ist die Krise vorbei, können die Firmen so ihre Produktion schneller wieder hochfahren, ohne neue Angestellte einlernen zu müssen. So die Theorie.

Das Besondere an der Coronakrise: Dieses Mal haben auch Betriebe Kurzarbeit angezeigt, die es normalerweise nicht tun. Zum Beispiel der Einzelhandel oder die Gastronomie.

Traditionell gelten Bereiche wie Gastronomie oder Einzelhandel als nicht so konjunkturabhängig wie die Industrie und sind deshalb weniger stark von Wirtschaftskrisen betroffen, erklärt Arbeitsmarktforscher Alexander Herzog-Stein von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Hinzu kommt: Während in der Industrie die Betriebe viel mehr Erfahrung mit dem Einsatz von Kurzarbeit hätten, und die Sozialpartner entsprechende Strukturen aufgebaut hätten, sei das bei Restaurants oder Veranstaltungsbetrieben meist nicht der Fall.

Und sie haben zu großen Teilen sowieso schon niedrige Löhne. Hier machen sich die Grenzen des Kurzarbeitergeldes bemerkbar, findet Herzog-Stein. Denn hier seien 60 Prozent des Nettolohns oft zu wenig. So viel erhalten Beschäftige in Kurzarbeit von der Bundesagentur für Arbeit als Lohnersatz. Bei Arbeitnehmern mit Kind sind es 67 Prozent.

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Wie wenig 60 Prozent des Nettogehalts sein können, zeigt eine Beispielrechnung. Eine Küchenhilfe etwa verdient der Seite Gehalt.de zufolge im Durchschnitt rund 22.000 Euro brutto im Jahr. Pro Monat sind das rund 1.300 Euro netto. In Kurzarbeit wären das 780 Euro – viel bleibt da nach Abzug der Miete und laufenden Kosten nicht mehr übrig.

Die Kurzarbeit rettet nicht alle

Auch wenn der Job dank Kurzarbeit zunächst gesichert scheint, fürchten viele um ihre Stelle. Eine Studie des Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung ergibt, dass unter den Kurzarbeitern etwa ein Drittel Angst haben, ihren Job zu verlieren. Eine Angst, die leider berechtigt ist. Denn das System der Kurzarbeit konnte nicht alles auffangen. So waren im Mai 2.812.986 Menschen arbeitslos gemeldet – so viele wie seit April 2015 nicht mehr.

Und es könnte noch schlimmer werden. „Wenn die Betriebe wirtschaftlich nicht durchhalten können, hilft auch keine Kurzarbeit mehr”, meint Oliver Stettes vom arbeitgebernahen Deutschen Institut der Wirtschaft (IW) in Köln. Mit Kurzarbeit können Unternehmen nur einen Teil ihrer Gesamtkosten decken. Sind die restlichen Kosten zu hoch, muss das Unternehmen schließen. Dann fallen die Arbeitsplätze trotzdem weg.

Nicht alle Angestellten sind gleichermaßen von Entlassungen betroffen. Berechnungen der Bundesarbeitsagentur zeigen, dass vor allem jene Personengruppen besonders betroffen waren, die zuvor schon am Arbeitsmarkt zu kämpfen hatten – Menschen ohne deutschen Pass oder ohne Berufsausbildung. Für „Ausländer” ist die Arbeitslosigkeit laut Arbeitsagentur um 3,4 Prozent gestiegen, für Personen ohne Ausbildung gar um 4,3 Prozent.

Den Corona-Effekt auf den Arbeitsmarkt berechnet die Bundesagentur für Arbeit, indem sie Vergleichswerte aus den Vergleichsmonaten des Vorjahres 2019 heranzieht. Dabei unterstellt die Bundesarbeitsagentur, dass sich die Arbeitslosigkeit ohne die Coronakrise entsprechend der Trends vor Corona entwickelt hätte. Aus den Werten der Vergleichsmonate von 2019 werden zunächst Sondereffekte und saisonale Schwankungen herausgerechnet. Der Corona-Effekt ist dann die Differenz zwischen dem tatsächlichen Arbeitslosenanteil aktuell und dem wahrscheinlichen Wert, hätte es Corona nicht gegeben.

Berlin ist am stärksten betroffen

Dieser Effekt lässt sich auch nach Bundesländern errechnen. Das zeigt, wie unterschiedlich die Regionen von der Krise getroffen werden. In Berlin ist Corona-Effekt auf dem Arbeitsmarkt am größten – wohl deshalb, weil die Millionen Touristen und Besucher in den vergangenen Monaten fernblieben. Tourismus und Messen sind ein zentraler Wirtschaftsfaktor der Hauptstadt. Die Arbeitslosenquote liegt hier aufgrund der Krise um 2,4 Prozent höher. Im Mai waren in Berlin 200.641 Menschen arbeitslos gemeldet – rund 50.000 Menschen mehr als im Vergleich zum Vorjahr.

Unter den fernbleibenden Touristen leiden auch andere touristisch geprägte Regionen, etwa an der Ostseeküste in Mecklenburg-Vorpommern, heißt es im Bericht der Bundesarbeitsagentur. Bundesländer mit großem Industrieschwerpunkt sind bislang im Vergleich weniger betroffen. Die Industriebetriebe waren weniger Einschränkungen unterworfen. Die meisten mussten während der gesamten Pandemie nie völlig schließen. Ein weiterer Grund könnte sein, dass in dieser Branche Kurzarbeit laut BA “ein eingeübtes Mittel zum Erhalt von Arbeitsplätzen ist“.

Insgesamt sind in strukturschwachen Gebieten die Corona-Effekte auf den Arbeitsmarkt stärker ausgeprägt. So ist auch Ostdeutschland stärker vom Corona-Effekt betroffen, nachdem sich dort in den vergangenen Jahren die Arbeitslosenquoten positiv entwickelt hatten. Dieser Trend ist nun erst einmal gebremst.

Deutschland hat Glück gehabt

Weltweit verlieren Menschen ihren Job, weil die Beschränkungen die Wirtschaft zum Erliegen bringen. Ein extremes Beispiel ist die USA. Hatte es im Februar dort noch 5,8 Millionen Arbeitslose gegeben, waren es im April 23,1 Millionen. Das entspricht einer Arbeitslosenquote von 14,4 Prozent.

Nun sind die USA schon lange nicht mehr für soziale Sicherungssysteme bekannt. Eine solche Krise legt das schonungslos offen. Sie zeigt, wie gut die sozialen Sicherungssysteme funktionieren, wie schnell die Politik reagieren kann und durch welche Maßnahmen es gelingt, Beschäftigung zu sichern. In Europa gibt es inzwischen einen ganzen Regenbogen an Maßnahmen. Knapp 500 listet die Datenbank COVID-19 EU PolicyWatch schon jetzt für ganz Europa auf.

Trotz dieser Bemühungen fürchtet die EU-Kommission einen Anstieg der Arbeitslosenquote in allen Mitgliedsstaaten. Für die gesamte EU prognostiziert die Kommission einen Anstieg um 2,3 Prozent – von 6,7 Prozent 2019 auf 9 Prozent 2020. Unter den Mitgliedsstaaten sind laut den Prognosen Spanien und Estland am stärksten betroffen – mit einem Anstieg der Arbeitslosigkeit in 2020 von 4,8 Prozent.

Ein Blick auf die Grafik zeigt auch: Corona hat leider viele Länder besonders hart getroffen, die zuvor schon hohe Arbeitslosigkeit verzeichnet haben. Italien, Spanien und Frankreich müssen also gleichzeitig mit zwei besonders harten Problemen kämpfen. Deutschland hingegen hat die niedrigste Quote, die EU sagt dem Land eine Arbeitslosenquote für das gesamte Jahr 2020 von 4 Prozent voraus.

Damit die europäischen Zahlen vergleichbar sind, berechnet die Europäische Union die Arbeitslosenquoten nach dem Labour-Force-Konzept der In­ter­na­tio­nal Labour Organization (ILO). Dieses geht von einer anderen Definition von Erwerbslosen aus als die Bundesarbeitsagentur, die die Definition des Deutschen Sozialgesetzbuch (SGB) verwendet. Nach ILO-Erwerbskonzept etwa ist ein Mensch nicht mehr arbeitslos, sobald er eine Wochenstunde arbeitet. Laut SGB ist eine Person auch dann arbeitslos, wenn eine Beschäftigung von weniger als 15 Wochenstunden ausgeübt wird. Deshalb unterscheiden sich die Arbeitslosenquoten der Bundesarbeitsagentur von denen der EU-Kommission.

So oder so steht Deutschland im europäischen Vergleich von vornherein besser da. „Deutschland hat einen robusten Arbeitsmarkt gehabt und trotz massiver Auswirkungen hätte das schlimmer ausfallen können”, meint IW-Arbeitsmarktforscher Oliver Stettes.

Das könnte so bleiben – vorausgesetzt, alle Kurzarbeiter kehren schnell wieder in ihre Beschäftigungen zurück. „Je länger die Phase der Rückkehr dauert, umso wahrscheinlicher ist es, dass Arbeitsplätze nicht gehalten werden können”, sagt Stettes. „Wir müssen damit rechnen, dass wir am Ende des Jahres eine deutlich höhere Arbeitslosigkeit haben”, sagt er.

Wie schwerwiegend die Folgen der Coronakrise für den Arbeitsmarkt noch werden, wird wesentlich davon abhängen, ob eine zweite Welle kommt. Aber noch ist noch nicht einmal die erste Welle vorbei.

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Veröffentlicht am 18. Juni 2020.
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