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Wie viele Autos stehen in meiner Nachbarschaft?

Diese Berliner Kieze bestehen am meisten aus Parkplätzen

In welchen Kiezen nehmen Autos besonders viel Platz ein? Der Senat hatte dazu lange keine Daten. Nun hat eine Initiative sie erhoben.
In welchen Kiezen nehmen Autos besonders viel Platz ein? Der Senat hatte dazu lange keine Daten. Nun hat eine Initiative sie erhoben.
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Sie sind bunt, im Schnitt 4,60 mal 1,90 Meter groß und stehen 23 Stunden täglich am selben Platz: 1,24 Millionen Autos sind in Berlin zugelassen. Wer keine Garage hat, parkt sie im öffentlichen Straßenland. Weil nicht alle ein Auto wollen, birgt das politischen Konfliktstoff: Wo Autos parken, fehlt Platz für anderes – insbesondere innerhalb des S-Bahn-Rings, wo die Gehwege notorisch verstopft, die Radwege eng, die Straßen dicht befahren und die Wohnungen klein und teuer sind.

Parkplätze in Berlin haben aber noch eine Besonderheit: Niemand weiß, wie viele es gibt und wie sie verteilt sind. Die Verwaltung erhebt das nicht systematisch, für verschiedene Arten von Straßen, Plätzen und Flächen sind teils unterschiedliche Behörden zuständig. Selbst die Frage, was, wie, wo genau ein Parkplatz ist, bleibt in Berlin so schwer zu bestimmen, wie es dem Ordnungsamt fällt, Falschparker von Radwegen fernzuhalten.

Über die letzten Jahre haben sich deshalb mehrere Initiativen in Berlin gebildet, um Autos zu zählen. Eine davon, „Parkplatz Transform“, hat nun erstmals eine recht genaue Erhebung für den gesamten Berliner Innenstadt-Ring erstellt – und dem Tagesspiegel zur Verfügung gestellt.

Die Zivilgesellschaft zählt nach, wo die Verwaltung keine Infos hat

Dafür hat die ehrenamtliche Initiative, die nach eigenen Angaben aus Mitgliedern aus den „Bereichen Wissenschaft und Beratung, Digitales, Daten und Verkehr“ besteht, monatelang manuell die Parkplätze auf öffentlichen Straßen kartiert. Ihr Ziel: „Daten liefern, die Berliner*innen ermuntern, kreativ zu werden und neue sinnvolle Nutzungen unseres städtischen Raums zu entwickeln.” Man wolle ein Bewusstsein für das Ausmaß des Parkplatzproblems schaffen, schreibt eine der Initiatorinnen, Isabell Merkle. Und weil sie glauben, dass eine Debatte um die Zukunft der Stadt nicht möglich ist ohne die nötigen Informationen, haben sie dafür eine App entwickelt und zahlreiche Freiwillige rekrutiert.

Diese Daten zeigen kiez- und sogar straßengenau, wo es wie viele Parkplätze gibt. Auf der interaktiven Karte oben werden diese Daten dargestellt, aggregiert nach sogenannten Lebensweltlich orientierten Planungsräumen. Das ist eine übliche Einheit der Stadtplanung in Berlin, die sich an dem orientiert, was wir restlichen Menschen „Kieze“ nennen.

Auf dieser Kiez-Ebene stellt die Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung auch andere Bevölkerungsdaten zur Verfügung. Dadurch lässt sich die Zahl der Autoparkplätze zum Beispiel mit der Menge an Grünflächen, der Bevölkerungsdichte oder den zugelassenen Kfz vergleichen. Der Datenanalyst und Stadtforscher Hans Hack hat ehrenamtlich viele dieser Datenkombinationen freundlicherweise für diese Daten bereits durchgeführt. Im Tagesspiegel Innovation Lab haben wir diese Analysen nachgerechnet und mit weiteren Daten kombiniert, um sie sinnvoll darzustellen.

Wie viele Parkplätze gibt es in meinem Kiez?
Die Tabelle zeigt, wie viele Parkplätze es in verschiedenen Nachbarschaften gibt und wie viele Quadratmeter sie in Anspruch nehmen (ein Parkplatz = 12,5 Quadratmeter). Außerdem können Sie sehen, wie viel Prozent der Kiez-Fläche und wie viel Prozent der Verkehrsfäche die Parkplätze benötigen.

Die Parkplatzhochburgen in der Berliner Innenstadt

Tendenziell besonders hoch ist der Parkplatz-Anteil am Rand des S-Bahn-Rings, in Neukölln, Schöneberg und Pankow etwa. In vielen der Kieze ist die Bevölkerungsdichte hoch, kein Wunder, dass dort viele Autos stehen. Aber auch Mitte ich dicht besiedelt, dennoch gibt es an vielen Orten hier weniger Parkplätze. Je zentraler die Lage, desto weniger Parkplätze gibt es im Verhältnis zum öffentlichen Straßenland – am niedrigsten ist der Anteil in Tiergarten.

In Wahrheit ist der Parkplatzanteil noch höher. Denn diese Erhebung hat ausschließlich Parkplätze im öffentlichen Straßenland erfasst, nicht etwa die umfangreichen zusätzlichen Parkplätze vor Lidl und Co., die Parkhäuser der Shopping-Zentren oder die Firmen­park­plätze in Industriegebieten. Der Grund dafür ist, dass die Parkplätze im öffentlichen Straßenraum politisch verhandelbar sind. Hier können Senat und Bezirke entscheiden, was damit passiert. Privatparkplätze sind nur schwerer von der Politik steuerbar.

Die Parkplätze im Ring nehmen mehr Fläche ein als das Tempelhofer Feld
Alle Angaben enthalten nur Flächen innerhalb des S-Bahn-Rings. Nicht enthalten sind hier Privatparkplätze, Tiefgaragen von Wohnhäusern, Firmenparkplätze und Parkplätze in Innenhöfen etc. Die Liste aller Parkhäuser und P&R-Flächen ist nicht vollständig, sondern erhält nur große und von der Stadt veröffentlichte Orte.

Was sagt der Senat dazu?

Wer und was Platz in einer Stadt zugesprochen bekommt, ist auch schon voll im Wahlkampf angekommen. Ob Parkplätze wegfallen sollen, um Raum für anderes zu schaffen, ist in Berlin auch innerhalb der rot-grün-roten Koalition hoch umstritten.

Die SPD schlägt vor, Parkplätze erst ab dem Zeitpunkt abzubauen, wenn der öffentliche Nahverkehr so gut ausgebaut ist, dass Autofahrten sich „automatisch“ verringern. Erst dann könne man „auch die Flächen im öffentlichen Verkehr neu verteilen und für eine höhere Aufenthaltsqualität (…) sorgen“, sagt SPD-Verkehrspolitiker Stephan Machulik.

Die Annahme dahinter: Sobald die Alternativen attraktiv genug sind, verkaufen Menschen ihre Autos von allein. Die Flächen-Umverteilung steht bei der SPD am Ende des Stadt-Umbaus.

Beim Koalitionspartner ist sie der Anfang. Die Grünen sind explizit „für die Umwidmung von konventionellen Pkw-Stellplätzen“, sagt Verkehrspolitikerin Antje Kapek.“ Alleine für den Fahrrad- und ÖPNV-freundlichen Umbau werden viele Pkw-Stellplätze weichen müssen.“

Auch der dritte Koalitionspartner, die Linke, drängt darauf, Platz umzuverteilen: „Unsere Vorschläge, eine Datengrundlage über Parkplätze (…) zu schaffen, wurden bisher nicht angenommen“, sagt Christian Ronneburg (Linke). Sie sei aber dringend nötig, um zu erkennen, wo „bereits kurz- und mittelfristig“ Parkplätze abgebaut werden können, um den öffentlichen Raum gerechter zu verteilen. Platz gebe es woanders: Private Berliner Parkhäuser seien „tendenziell unterausgelastet“.

Weniger Parkplätze, um weniger Verkehr zu fördern – oder weniger Verkehr, damit es dann weniger Parkplätze braucht? Die Koalition hat sich in ein Henne-Ei-Problem verstrickt. Dabei ist es in der Stadtplanung wenig umstritten, dass es beides braucht: bessere Alternativen zum Auto und eine Beschränkung des Angebots kostenloser Parkplätze.

Lautes Schweigen im Koalitionsvertrag

Rot-Grün-Rot vermeidet das Thema größtenteils, Parkplätze waren im vergangenen Jahr nur selten Thema im Senat. Zwar erhöht Berlin ab 2023 die existierenden Kurzzeit-Parkgebühren, die es in manchen Stadtteilen gibt, um einen Euro mehr die Stunde, die Anwohner-Parkgebühren sollen von 10,20 auf 120 Euro pro Jahr steigen. Aber über Parkplatzgebühren hinaus geht es nicht.

Es scheint, als seien Parkgebühren das einzige Thema, bei dem sich die Koalitionäre parkplatz-politisch einig wurden. Im Koalitionsvertrag steht auffallend wenig zum Thema Parkplätze. Um mehr Wohnungsbau zu ermöglichen, sei „Transformation im bebauten Bereich wie zum Beispiel Parkplätze“ denkbar. Ansonsten ist hauptsächlich indirekt von Parkplatz-Reduktion die Rede, etwa dann, wenn es um Verkehrsberuhigung in Wohnvierteln geht oder um Platz für Carsharing-Angebote.

Die Opposition wittert ein Wahlkampf-Thema: Tiefgaragen

Die Opposition hat das Thema längst erkannt. Die CDU will – ähnlich wie die SPD – erst Parkplätze umwidmen, sobald der ÖPNV ausgebaut ist. Vorher ist die Partei dagegen, Parkplätze zu reduzieren, eine Verlagerung in Tiefgaragen jedoch sei sinnvoll, sagt CDU-Verkehrspolitiker Oliver Friederici.

Park-Tiefgaragen nennt auch die FDP. Sie schlägt vor, den „Ausbau von Parkhäusern, Tief- und Kiezgaragen innerhalb des S-Bahn-Rings“ zu beschleunigen, um die Flächenkonkurrenz in den Griff zu bekommen. Das sagt FDP-Verkehrspolitiker Felix Reifschneider. „Ein nachfragegerechtes Parkplatzangebot zu schaffen“ sei nämlich „wichtig als politische Aufgabe“.

Die Berliner AfD ist nahe bei den anderen Oppositions-Parteien. Sie empfiehlt ebenfalls „Kiezparkhäuser, bestenfalls unter der Erde, um den Raum darüber anderweitig nutzen zu können“, sagt Harald Laatsch, verkehrspolitischer Sprecher der Fraktion. „Parkplätze im Zentrum sind eine unzureichende Nutzung vorhandener Flächen.“

In einem Punkt sind sich also alle Parteien im Abgeordnetenhaus einig: Berlin hat ein Platz-Problem. Die Initiative, die die Parkraum-Daten erhoben hat, sieht das so: „Günstiges und einfaches Parken macht Autofahren attraktiv, mit den bekannten Folgen: Lärm, Luftverschmutzung, Belastung fürs Klima, Unfälle, enormem Flächenverbrauch“, schreibt Isabell Merkle von der Initiative „Parkplatz Transform“.

In der Verkehrs- und Stadtplanung ist das auch gar nicht umstritten. Um den Autoverkehr in Innenstädten zu reduzieren, braucht es sowohl bessere Alternativen wie Radwege und ÖPNV als auch Anreize, das Auto stehen zu lassen. Niemand bezweifelt ernsthaft, dass kostenlose Parkplätze mehr Verkehr fördern. Deswegen kostet das Parken ja inzwischen in fast allen Innenstädten Geld. Und die kostenlosen Parkplätze auf öffentlichem Straßenland werden letztlich aus Steuergeldern finanziert – auch aus den Steuern von denen, die kein Auto haben.

Das Team

Nina Breher
Text und Recherche
Tamara Flemisch
Webentwicklung
Hendrik Lehmann
Text und Produktion
David Meidinger
Datenanalyse und Webentwicklung
Lennart Tröbs
Design
Veröffentlicht am 31. Oktober 2022.
Zuletzt aktualisiert am 1. November 2022.
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