Keine Pistole ist in der US-Popkultur so beliebt wie „die Glock“. Der Firma Glock hat ihren Hauptsitz im österreichischen Ferlach in Kärnten, die Glock 17 ist ihr erfolgreichstes Modell. Es ist eine simple Pistole aus Plastik und Stahl. Ursprünglich entwickelt für das österreichische Militär, wird sie seit den 1980ern aggressiv in den Staaten vermarktet. Mit Erfolg auch im Pop: Die Waffenmarke findet sich in über 570 Filmen, 168 Fernsehserien und 115 Videospielen – und in knapp 80.000 Songtexten.
Das zeigt eine Tagesspiegel-Auswertung von Songtexten und Filmen. Die massenhafte Erwähnung in der Popkultur ist kein Zufall, sondern hängt mit geschicktem Marketing und fragwürdigen Geschäftspraktiken zusammen, wie unsere Investigativ-Recherche gezeigt hat. Und die Präsenz im Pop hilft, Waffen in den USA noch weiter zu normalisieren: In dem Land, wo inzwischen mehr Kinder und Jugendliche durch Schusswaffen sterben als durch Krebs oder Verkehrsunfälle.
In Datenanalysen und Grafiken zeigen wir, wo genau die Waffe erwähnt wird.
Glocks sind im Pop ungewöhnlich beliebt. Obwohl andere Unternehmen wie Smith & Wesson oder die deutsch-amerikanische Marke SIG Sauer mehr als fünfmal so viele Waffen in den USA produzieren, finden sie in Musik kaum Erwähnung. Einen Hinweis auf die Glock finden wir hingegen in 78.247 Songtexten. Um Dopplungen zu verhindern und sicherzustellen, dass die Songs existieren, haben wir die Daten mit Hilfe von Spotify überprüft. Knapp die Hälfte, 38.916 Lieder, finden wir bei dem Streamingdienst.
Das erste Mal wird die Glock 1987 in einem Lied erwähnt. Damals rappt Jay Ownz: „Got the Glock / ‘case things lookin’ strange“. Da hatte Glock gerade eine Außenstelle in Smyrna, Georgia, eröffnet, um die Waffe auch in den USA zu produzieren.
Viel Erfolg hatte der Song nicht. Nur wenige dürften ihn kennen. In den darauffolgenden Jahrzehnten aber schaffte es die billige Pistole aus Österreich in immer erfolgreichere Songs.
Rank | Cover | Song | abspielen | Links |
---|---|---|---|---|
1. | 1. Jimmy Cooks Drake 2022 | |||
2. | 2. Low Down Lil Baby 2020 | |||
3. | 3. Dior Pop Smoke 2019 | |||
4. | 4. Low Flo Rida 2008 | |||
5. | 5. You Know How We Do It Ice Cube 1993 | |||
6. | 6. Grown Man Marshmello 2023 | |||
7. | 7. El Hokage Eladio Carrion 2023 | |||
8. | 8. La Bolsa Gucci Miguel Cornejo 2023 | |||
9. | 9. Stay With Me 1Nonly 2020 | |||
10. | 10. Mind on My Murder YNW Melly 2018 |
Die meisten Lieder lassen sich grob dem Hip-Hop zuordnen, darunter besonders viele dem „Drill“, einer minimalistischen Ausprägung, die meist Bandenkriminalität verarbeitet: In den Top 30 populärsten Songs auf Spotify findet sich Gangsta-Rap-Pionier Ice Cube mit seinem Klassiker „You Know How We Do It“ von 1993. Daneben finden sich Trap-Star 21 Savage mit „Bank Account“ und der inzwischen ermordete Drill Artist Pop Smoke mit „Dior“. Aber auch Flo Ridas Hit „Low“ und „Memories“ von Maroon 5, YG und Nipsey Hustle sind auf der Liste, genauso wie einige Lieder von Singer-Songwritern aus Mexiko.
Denn der Trend setzt sich fort: Waren die Ballerfilme der 90er bis 2010er Jahre die Hochzeit der Glock im Film, so werden Glocks in Songtexten vor allem seit 2017 immer häufiger erwähnt. Im Gegensatz zu dem langsam abebbenden Trend um schießwütige Helden wie Bruce Willis und Keanu Reaves, werden Rap, Hip-Hop oder Trap immer stärker Teil des musikalischen Mainstreams.
Alleine für das Veröffentlichungsjahr 2022 lassen sich mehr als 12.000 Songs auf Spotify finden, in denen „Glock“ vorkommt. Die Zunahme hat auch damit zu tun, dass insgesamt jedes Jahr immer mehr Stücke auf Spotify hochgeladen werden. Aber auch im Verhältnis zur Zahl aller hochgeladenen Lieder steigt der Anteil der Glock-Songs.
Trägt diese Popularisierung in der Popkultur zur Epidemie der Waffengewalt in den USA bei?
Ja, sagen Politiker*innen wie New Yorks Bürgermeister Eric Adams und wollen die Tracks sogar auf Youtube blocken. Nein, entgegnet das Drill-Duo Krept & Konan und Feminist*innen wie bell hooks. Illene Steur hingegen gibt gar der Firma Glock direkt die Schuld. Sie wurde bei einer Amoktat mit einer Glock in der U-Bahn in Brooklyn, New York schwer verletzt – und hat den Hersteller auf Schadenersatz verklagt.
Zur Popularisierung der Pistole verfolgt Gaston Glock, der österreichische Produzent, eine einfache, aber effiziente Strategie: Die Glock wurde billig an Sicherheitsbehörden verkauft. So sollte die in den USA noch weitgehend unbekannte Waffe einen Vertrauensvorsprung gewinnen. Mehr dazu in der Recherche zum Glock-Aufstieg.
Die Polizeien sind damals von der Waffe begeistert und kaufen sie massenhaft ein. 1994 rappen Smif-N-Wessun: „But keep a watch for the cops ’cause they rock Glocks.“ Und bis heute sind Glock-Waffen genauso wenig aus Polizeidepartments wegzudenken, wie aus dem Hip-Hop. In insgesamt über 200 Songs erwähnen sie allein aktuell populäre Künstler*innen wie YoungBoy Never Broke Again, Chief Keef oder Lil Durk.
Unsere Audioanalyse zeigt: Die Lieder, in denen Glock vorkommt, werden schneller. Die BPM, die „beats per minute“, der Glock-Songs steigen im Durchschnitt über die Jahre an. Das hat auch mit den Genres zu tun, in denen Waffen besonders häufig genannt werden. Der Hip-Hop der 80er, 90er und 00er Jahre und der frühe Trap waren noch recht gemütlich. Sie lagen durchschnittlich zwischen 85 und 95 BPM. Seit dem Aufkommen von Drill und der zunehmenden Vermischung von Trap mit schnelleren elektronischen Einflüssen seit den 2010er Jahren liegen Songs immer häufiger bei 135 bis 150 BPM.
Die Lieder werden nicht nur schneller, sondern auch trauriger, wütender, härter. Das kann man mit dem sogenannten „Valence Score“ annäherungsweise messen. Je höher der Wert, desto positiver die Grundstimmung. Bei Songs, in denen „Glock“ erwähnt wird, sinkt dieser Wert seit den 00er-Jahren.
Was die Grafik auch zeigt: Die Musikrichtungen, in denen Glocks erwähnt werden, sind im Schnitt noch immer nicht so trist wie die durchschnittliche Musik. Außerdem ist es schwierig zu sagen, was für eine „Stimmung“ in Musik wirklich aggressiv ist – und welche eher traurig.
Auch ein trauernder Song über rassistische Polizeigewalt kann eine Glock nennen. Dafür gibt es viele Beispiele in den Daten: So rappt Childish Gambino 2013 „watching dude drop from a Glock” und verarbeitet damit auf harten Beats und melancholischen Samples den Mord an einem Jungen, der in Atlanta von der Polizei erschossen wurde. Der Song hat einen Valence-Score von 0,22.
Einen Beleg, wie Gewalt, Rap und Waffen zusammenhängen, gibt es bis heute nicht. Stattdessen gibt es zwei entgegengesetzte Positionen.
Position eins ist fast so alt wie der Hip-Hop selbst. 1993 schreibt Brent Staples in der „New York Times“ unter der Überschrift „The Politics of Gangsta Rap“: „Für die, die es noch nicht wissen: Gangsta Rap ist diese unglaublich erfolgreiche Musikform, in der alle Frauen b****** sind und junge Männer sich als Sport umbringen.“
Knapp 30 Jahre später, 2022, will der Bürgermeister von New York, Eric Adams, Drill-Videos von Youtube verbannen. Damit meint er unter anderem Künstler wie Pop Smoke oder eben Cheef Keef, die Glocks in Dutzenden ihrer Songs erwähnen. Und als es Anfang 2022 zu einem Schulmassaker mit 21 Toten in Texas kommt, sagt „Fox News“-Reporter Ronny Jackson: „Ich denke an all diese schrecklichen Sachen, die Kinder hören, in Rapmusik oder wenn sie Computerspiele spielen.“
Position zwei: Nicht die Gewaltbeschreibung im Rap ist das Problem, sondern die Gesellschaften, die darin beschrieben werden. Das sagt beispielsweise bell hooks. 1994 schreibt die Feministin im Buch „Outlaw Culture“: Gangsta Rap sei der Ausdruck einer Gesellschaft, die unterdrückt, diskriminiert und ausbeutet. Kritiker*innen von Rap würden es sich einfach machen, wenn sie die Musiker*innen beschuldigen, statt die Ursachen der Ausgrenzung zu verändern: Kapitalismus und Rassismus. Ähnlich argumentiert das Drill-Duo Krept & Konan 2019 im „Guardian“: „Kreativität war der Ausweg aus der Gewalt, die mich umgeben hat. Es sind die Entbehrungen, nicht die Musik, die unsere Communities zerstört.“
Wer in jedem Fall von der Popularität von halbautomatischen Waffen profitierte: die Firma Glock. Aber ist das strafbar? Ja, meint zumindest Illene Steur, die 2022 bei einem Anschlag in der New Yorker U-Bahn schwer verletzt wurde. Die Tatwaffe war eine Glock 17. Das ist das Modell, das Anfang der 1990er massenhaft an die US-amerikanischen Polizei-Departments verkauft wurde. Wenige Jahre später fluteten die Bestände die Straßen.
Steur argumentiert, Glocks US-Vertrieb habe das absichtlich getan. Die Firma hätte wissentlich mehr Waffen produziert als von der Polizei nachgefragt wurden. Das Ziel sei gewesen, die gebrauchten Pistolen auf den schwerer kontrollierbaren Sekundärmarkt zu bringen, also an Privatleute zu verkaufen. Das sei eine unlautere Geschäftspraxis, argumentieren Steur und ihre Anwälte. Und sie habe Attentate wie das in der New Yorker U-Bahn erst ermöglicht.
Ein Urteil steht noch aus.
Investigative Recherchen sind aufwendig. Wir investieren in Qualitätsjournalismus. Unsere besten Recherchen lesen Sie mit Tagesspiegel Plus. Das können Sie einen Monat lang kostenfrei ausprobieren. Unsere Recherchen direkt aufs Smartphone gibt’s in der Tagesspiegel-App: Hier gratis herunterladen.
Wir investieren in Qualitätsjournalismus und bauen unsere Berichterstattung aus. Unsere besten Artikel lesen Sie mit dem günstigen Abo für Tagesspiegel Plus – das Sie einen Monat lang kostenfrei ausprobieren können.
In wie vielen Liedern wird die Glock erwähnt? Um diese Frage zu beantworten, haben wir auf der Webseite lyrics.com nach dem Stichwort „Glock“ gesucht. Lyrics.com ist - ähnlich wie Wikipedia – eine Community-basierte Enzyklopädie für Songtexte. Wir fanden 78.247 Lieder. Das Problem: Dopplungen und Falschnennungen können nicht ausgeschlossen werden. Um diese auszusortieren und nur Lieder einzubeziehen, die wirklich veröffentlicht wurden, haben wir in einem zweiten Schritt automatisiert nach den Liedern auf Spotify gesucht. Etwa die Hälfte, 38.916 Lieder, bleiben übrig. Jedes auf Spotify angebotene Lied wird umfangreich durch den Streamingdienst analysiert – unter anderem, um „ähnliche“ Lieder zu finden und so Dienste wie Spotify-Radio oder automatisierte Playlists anbieten zu können. Diese Analyse haben wir übernommen und so die Audiofeatures der Songs – wie den Valence Score, die BPM oder den Popularity Score – zu bestimmen. Um einen Vergleichswert für die Grundgesamtheit der Songs auf Spotify zu bekommen, haben wir ein Datenset mit über 1,2 Millionen auf Spotify veröffentlichten Songs einbezogen.
Die Daten für die Film- und Serienanalyse kommen von der „Internet Movie Firearm Database“. Auf dieser identifizieren Nutzer*innen Waffen in Filmen, Serien, Animes und Computerspielen.