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Die Shot Show und der deutsche Staat

Schützenhilfe vom Ministerium

Jedes Jahr findet in Las Vegas die weltgrößte Waffenmesse statt. Europas wichtigste Waffenhersteller sind fast alle präsent – und seit rund 25 Jahren auch das deutsche Wirtschaftsministerium.
Jedes Jahr findet in Las Vegas die weltgrößte Waffenmesse statt. Europas wichtigste Waffenhersteller sind fast alle präsent – und seit rund 25 Jahren auch das deutsche Wirtschaftsministerium.

Es gibt wohl wenige Veranstaltungen, die das Bild der waffenvernarrten USA so sehr mit Leben füllen wie die „Shot Show“ in Las Vegas. 60.000 Besucherinnen und Besucher und hunderte Aussteller kommen hierher. Zu bewundern gibt es tausende Pistolen, Gewehre und Gadgets, die aussehen wie die Requisiten eines Kriegsfilms aus der Zukunft.

Die Shot Show, die jeden Januar im Hotelkomplex The Venetian stattfindet, ist die größte Waffenmesse der Welt. Einmal im Jahr versammeln sich Fachleute und Firmen in dem nur wenige hundert Meter vom berühmten Strip der Wüstenstadt entfernten Kongresszentrum.

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Die Hersteller präsentieren ihre neuesten Produkte – zum Beispiel einen Unterbau aus gebürstetem Aluminium und brasilianischem Kirschholz für eine SIG Sauer P365X-Pistole; oder eine Kurzwaffe der belgischen Fabrique Nationale Herstal mit Kompensator und vormontiertem Visier. Die allgemeine Öffentlichkeit ist nicht willkommen.

Die Messe, zu der der Lobbyverband National Shooting Sports Foundation (NSSF) lädt, klingt wie ein Biotop jenes Teils der US-Gesellschaft, der in Deutschland gern belächelt und verachtet wird: ein Ort für Waffennarren, rechte US-Politiker und Geschäftsleute, die als Verkaufsargument den „body count“ einer Waffe pro Minute anbringen, also die potenzielle Zahl der getöteten Menschen.

Die Shot Show scheint zu bestätigen, was schiefläuft in den USA. Und was Europa besser macht.

Die Shot Show bezeichnet sich selbst als die „größte Fachveranstaltung für Sportschießen, Jagd und die Outdoor-Branche.“ Foto: National Shooting Sports Foundation, Inc.

Doch wer den Stellplan der jüngsten Ausgabe der Messe im Januar 2023 genauer studiert, entdeckt in zentraler Lage der Kongresshalle, an Stand 11245, einen überraschenden Aussteller: die Bundesrepublik Deutschland.

Im German Pavilion gibt es vor allem Waffenzubehör

Hier findet sich der „German Pavilion“, einladend eingerichtet in klassischem Messen-Interieur, wie ein Insider berichtet: Kühlschränke für Erfrischungen, Sitzgelegenheiten und Tische für Besprechungen, Hostessen komplettieren das Bild.

Die Mehrheit der deutschen Firmen, die hier ausstellen, produziert Dinge, mit denen man nicht unmittelbar töten kann. Öle für Waffen, Visiere, Pfeffersprays oder Tresore zum Beispiel. Das schreiben die Teilnahmebedingungen des Bundes vor: Auf dem zur Verfügung gestellten Messestand dürfen demnach nur Sport- und Jagdwaffen sowie Outdoor-Produkte gezeigt werden.

Unter dem Zubehör befinden sich Magazine für Sturmgewehre

Was genau darunter fällt, ist offenbar Auslegungssache. Unter den Ausstellern des Pavillons ist auch die Krefelder Firma Schmeisser – ein Hersteller, der 14 verschiedene Sturmgewehre des Typs AR-15 im Sortiment hat. Diese gelten in privaten Händen als besonders gefährlich, in den USA tobt seit Jahren eine Debatte um ein mögliches Verbot solcher „assault rifles“.

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Zwar werden diese im German Pavilion nicht direkt präsentiert – dafür aber jede Menge Zubehör. Im Jahr 2020 etwa, so zeigen es Videos auf Youtube, das bisher umfangreichste Magazin, das je für eine solche Waffe gebaut wurde: 60 Schuss halbautomatische Feuerkraft, kein Nachladen nötig.

Dass europäische und vor allem deutsche Waffenhersteller auf Messen wie der Shot Show Kontakt zu US-Käufern suchen, liegt daran, dass die Verkaufsmöglichkeiten auf dem heimischen Markt beschränkt sind. Der Privatmarkt aus Jägern und Sportschützen ist klein. Armeen und Polizeien benötigen nur eine bestimmte Menge an Waffen – und schließen meist langfristige Verträge mit einzelnen Herstellern.

US-Amerikaner besitzen mehr Waffen als alle Armeen weltweit
Die Grafik zeigt die Anzahl von Pistolen und Gewehre von Privatpersonen und Militär im Vergleich.

Wer Geld verdienen will, muss also in die USA. Und das tun fast alle europäischen Produzenten mit Nachdruck. Walther Arms Inc., die US-Tochterfirma von Carl Walther aus Ulm, stellt an Stand 12469 aus. An den Ständen 12469, 12472 und 20501 zeigt die Firma Umarex aus Arnsberg im Sauerland ihr Portfolio. Glock aus Kärnten ist an Stand 12411. Heckler & Koch aus Oberndorf am Neckar bespielt Stand 12227.

Die europäischen Konzerne sind bestens vernetzt

Wie mächtig die europäischen Konzerne in der US-Waffenwelt sind, zeigt ein Blick auf die Führungsebene der NSSF, jener Lobbyorganisation, die das US-Magazin „The Atlantic“ einmal „die effektive kleine Cousine“ der bekannteren National Rifle Association (NRA) nannte. Im Board of Governors, quasi dem Aufsichtsrat der Lobbyorganisation, sitzt unter anderem Josh Dorsey, Vice President bei Glock USA.

Ebenfalls vertreten: Jeff Reh, der stellvertretende Vorsitzende der US-Tochtergesellschaft der italienischen Beretta.

Das Logo des Bundeswirtschaftsministeriums ist deutlich sichtbar

Dass in diesem Umfeld auch deutsche Waffenhersteller bestehen und Geld verdienen können, scheint dem deutschen Staat ein wichtiges Anliegen zu sein. Auf der Website des deutschen Pavillons 2023 findet sich gut sichtbar das Logo des Bundeswirtschaftsministeriums. Man kann es als Gütesiegel verstehen: Hier gibt es Qualität made in Germany. Geräte, die mit bewährter deutscher Akribie gebaut sind – dafür, präzise zu töten. Verbrieft von der Bundesregierung.

Und das ausgerechnet von einem Ministerium, das seit der aktuellen Legislaturperiode in der Hand der Grünen ist – jener Partei also, die ihren Aufstieg auch der Friedensbewegung der 1980er und 90er zu verdanken hat und in der sich etliche Mitglieder seit Jahrzehnten gegen Waffenexporte engagieren.

Bei jener Partei, die in ihren Wahlprogrammen regelmäßig für strengere Regeln für die Ausfuhr von Waffen eingetreten ist, die darauf gedrängt hat, eine Novelle des Rüstungsexportgesetzes im Vertrag der Ampel-Koalition festzuschreiben.

Shot Show 2023 – ein moralisches Dilemma für den Wirtschaftsminister?

Das Wirtschaftsministerium betont auf Tagesspiegel-Anfrage, dass die Entscheidung, ob ein solcher Messestand umgesetzt werde, mindestens eineinhalb Jahre im Voraus falle. Für die jüngste Shot Show im Januar 2023 sei dies noch unter der alten, schwarz-roten Bundesregierung geschehen – unter CDU-Kanzlerin Angela Merkel und ihrem Wirtschaftsminister Peter Altmaier.

Für dessen grünen Nachfolger Robert Habeck dürfte die moralische Herausforderung groß sein. Ebenso für seinen Staatssekretär Sven Giegold, der nicht nur zu den Gründern der Antiglobalisierungs-NGO Attac-Deutschland zählt, sondern auch bekennender Christ ist.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck Foto: imago/Frank Peter
Staatssekretär Sven Giegold Foto: imago/ZUMA Wire

Und handelt es sich wirklich bloß um eine Legitimierung in Form eines Logos, eine freundliche Handreichung für den deutschen Außenhandel? Oder hat das Ministerium die Waffenhersteller direkter unterstützt?

Vieles spricht dafür, dass indirekt Geld floss

Nach Tagesspiegel-Recherchen waren die Aktivitäten des Ministeriums im Kontext der Shot Show umfangreicher als bisher bekannt. Laut mehreren Personen, die unmittelbar mit den Vorgängen vertraut sind, aber aus Sorge vor negativen Auswirkungen auf ihre Arbeit anonym bleiben möchten, hat das Haus die Aussteller über Umwege mit Geld unterstützt. Das Wirtschaftsministerium erklärt auf Anfrage: „Beim Auslandsmesseprogramm handelt es sich nicht um ein Förderprogramm, es werden keine direkten Zahlungen an ausstellende Unternehmen geleistet.“

Keine direkten Zahlungen – das mag stimmen. Vieles spricht jedoch dafür, dass indirekt Geld floss. Das Ministerium war Veranstalter des Standes auf der Shot Show. Die Auswahl, wer ausstellen darf und wer nicht, erfolgte zwar über den Messeverband der deutschen Wirtschaft AUMA. Aber das Ministerium hatte das letzte Wort.

Das operative Geschäft, also die konkrete Planung des Standes, die Umsetzung, Werbung und der Betrieb vor Ort gingen an einen externen Dienstleister. Doch auch der musste sich vor dem Ministerium verantworten. Von 1998 bis 2023, teilt dieses mit, habe es so einen Gemeinschaftsstand für deutsche Unternehmen umgesetzt, unterbrochen nur im Jahr 2021.

Neben den amerikanischen Waffenherstellern wie Smith & Wesson präsentieren sich auch Waffenkonzerne aus Europa auf der Messe. Foto: National Shooting Sports Foundation, Inc.

Die jeweiligen Aussteller mussten eine Standgebühr an den Dienstleister zahlen. Die finale Abrechnung übernahmen aber das Wirtschaftsministerium sowie das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA), eine dem Wirtschaftsministerium nachgeordnete Bundesoberbehörde, die unter anderem für die Kontrolle und Genehmigung von Waffenexporten zuständig ist.

Dabei sollen die Aussteller laut mehreren mit den Abrechnungen vertrauten Personen nie die Gesamtsumme an den Dienstleister überwiesen haben, sondern nur einen Teil. Auch das Ministerium selbst spricht von einem „Beteiligungspreis“. Den Rest beglichen laut den Personen die Bundesbehörden selbst.

Das hieße: Es fanden zwar, wie das Ministerium betont, tatsächlich „keine direkten Zahlungen“ an die Aussteller statt. Aber mit der Beteiligung an der Gebühr griff der Bund den Waffenunternehmen finanziell um die Arme. Und damit der deutsche Steuerzahler.

Unterstützung „unterschiedlich, aber nicht gering“

Man kann darin ganz normale und legale Wirtschaftsförderung sehen. Man kann aber auch die Frage stellen, ob Pistolen und Gewehre wirklich ganz normal gefördert werden sollten.

Wie hoch die Unterstützung konkret ausfiel, ist nicht bekannt. Die mit der Materie vertrauten Personen wollen sich öffentlich nicht konkret dazu äußern. Eine beschreibt die mutmaßlichen Zuwendungen jedoch als „unterschiedlich, aber nicht gering“.

Auch sollen immer wieder Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ministeriums bei der Shot Show anwesend gewesen sein. „Nicht jeden Tag, aber regelmäßig“, wie es eine an der Messe beteiligte Person ausdrückt. Potenziell eine gute Gelegenheit für informelle Gespräche mit deutschen und internationalen Waffenherstellern.

Ist das deutsche Wirtschaftsministerium Mitglied der Waffenlobby?

Brisant ist in diesem Kontext noch eine andere Verbindung – die zur US-Waffenlobby. Viele der europäischen Firmen auf der Shot Show sind nämlich nicht nur Aussteller, sondern gleichzeitig auch Mitglieder des Lobbyverbandes NSSF. Das gilt nach Angaben der Shot Show nicht nur für Glock, Heckler & Koch, Beretta und viele andere Platzhirsche der Industrie, sondern auch für den German Pavilion.

Das Wirtschaftsministerium besteht darauf, nicht der deutsche Pavillon sei NSSF-Mitglied, sondern eine vom Bund mit der Organisation des Standes beauftragte Messegesellschaft.

Dennoch heißt das: Ein deutsches Ministerium unterstützt seit rund 25 Jahren auf der heute größten Waffenmesse der Welt indirekt einen aggressiven US-Waffenlobbyverband. Und hat damit mittelbar dessen politische Agenda legitimiert: weniger Regeln und Gesetze, mehr Waffen.

Deutlich mehr Geld für Waffen als für Regulierung
Die Grafik zeigt die jährlichen Spendenausgaben für unterschiedliche Lobbygruppen – für mehr Kontrolle, für Herstellung von Waffen sowie für die großen Lobbygruppen für Waffenrechte.
Daten: Open Secrets

Deutschlands exportfreundliche Haltung hat historische Gründe. Außenhandelsförderung ist der Bundesrepublik seit ihren Anfangsjahren ein hohes Gut. Sie half dem Land, zwischenzeitlich zum „Exportweltmeister“ zu werden – und diese Logik des Wirtschaftsministeriums gilt offenbar auch für Waffenhersteller.

Dass das in dieser Form möglich ist, geht auf Franz Josef Strauß zurück. Um 1961, zu seiner Zeit als Verteidigungsminister der vierten Adenauer-Regierung, stellte der damalige CSU-Vorsitzende dem Waffenexport das Außenwirtschaftsgesetz zur Seite. Und nicht, wie eigentlich logisch, das Kriegswaffenkontrollgesetz.

Der Markt im Ausland sei wirtschaftlich wichtig

Der wichtigste Unterschied: Das Kriegswaffenkontrollgesetz verbietet alles, was nicht explizit erlaubt ist. Das Außenwirtschaftsgesetz hingegen erlaubt prinzipiell alles, was nicht explizit verboten ist. Eine immense Erleichterung für die Exportgeschäfte der deutschen Waffenhersteller.

Die Argumente für diesen Weg waren zu Strauß’ Zeiten dieselben, die auch heute noch von der Industrie vorgebracht werden: Der Markt im Inland sei begrenzt, das Ausland für die Hersteller daher existenziell wichtig. Im Kern gilt das bis heute.

„Waffenexporte müssen raus aus der Wirtschaftspolitik.“
Holger Rothbauer, Menschenrechtsanwalt

„Das Wirtschaftsministerium versteht alles, was das Ausland betrifft, vor allem vor dem Hintergrund der Wirtschaftsförderung“, sagt Menschenrechtsanwalt Holger Rothbauer. „Das Rüstungsgeschäft ist ihnen vielleicht ein bisschen peinlich, aber im Grunde hält das Ministerium es für richtig und wichtig.“

Immerhin: In den vergangenen Jahren ist Bewegung in die Sache gekommen. Schon unter Sigmar Gabriel wurden die Kontrollen ernsthafter. Und seit Kurzem versucht die Ampel-Regierung, ein neues Rüstungsexportgesetz auf den Weg zu bringen. Das Gesetz soll, analog zum Naturschutz, unter anderem ein Verbandsklagerecht enthalten. Also mehr Möglichkeiten zur Kontrolle für zivilgesellschaftliche Organisationen.

Vertreter der Industrie und die Waffenlobby haben im Konsultationsprozess gegenüber Wirtschaftsstaatssekretär Sven Giegold deutliche Zweifel angemeldet. Der Ausgang ist offen.

Die Ausfuhr von Kleinwaffen ist gestiegen

Bereits Mitte 2019 wurde der Export von Waffen ins Ausland strenger reglementiert. Seitdem ist es verboten, Kleinwaffen in Drittstaaten außerhalb der Europäischen Union und des Nato-Gebiets zu liefern.

Mit zunächst überschaubarem Erfolg. Aus einer Antwort des Wirtschaftsministeriums auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag geht hervor, dass die Bundesregierung im Jahr 2019 die Ausfuhr von Kleinwaffen im Wert von 69,5 Millionen Euro erlaubt hat – darunter Maschinengewehre, Pistolen und ähnliches Material. Eine Steigerung von 79 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

In den Augen von Anwalt Rothbauer sind Beschränkungen zum Kleinwaffenexport nicht genug. „Da geht es um Menschenrechte, um Mord und schwere Verletzungen“, sagt er. „Waffenexporte müssen raus aus der Wirtschaftspolitik.“

Der Stellplan für die Shot Show 2024 ist auf ihrer Website bereits zugänglich. Der deutsche Pavillon ist wieder dabei.

Ob auch das Wirtschaftsministerium abermals teilnimmt? Auf Anfrage heißt es zunächst, man habe sich noch nicht entschieden. Kurz vor der Veröffentlichung dieses Artikels meldet sich eine Sprecherin noch einmal. Das Ministerium habe einen Beschluss getroffen: „Es wird keinen erneuten Messestand des Bundes geben.“

Das Team

Eric Beltermann
Webentwicklung
Cornelius Dieckmann
Redigatur
Daniel Erk
Text und Recherche
Alexander Forsthofer
Recherche
Dennis Pohl
Text und Recherche
Lennart Tröbs
Design und Visualisierung
Helena Wittlich
Datenrecherche und Produktion
Veröffentlicht am 5. Mai 2023.
Zuletzt aktualisiert am 23. Mai 2023.
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