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Baukrise in Europa

Explodierende Baukosten machen Wohnungsbau zunehmend unmöglich

Die Baubranche steckt in der Krise. Gleichzeitig herrscht Wohnungsnot. Daten zeigen, wie sich der Neubau entwickelt – und wie Deutschland im europäischen Vergleich dasteht.
Die Baubranche steckt in der Krise. Gleichzeitig herrscht Wohnungsnot. Daten zeigen, wie sich der Neubau entwickelt – und wie Deutschland im europäischen Vergleich dasteht.

Seit Monaten stehen Baustellen in deutschen Städten still. Mehrere große Projektentwickler haben Insolvenz angemeldet. Aus ganz Europa heißt es: Europas Wohnungsbauwirtschaft steht kurz vor dem Zusammenbruch. Hohe Zinsen und Baukosten seien schuld daran. Stimmt das?

Laut Forschungen von Euroconstruct, einer Firma für Baukostenprognosen, werden in den kommenden Jahren nur wenige Wohnungen gebaut. Länder wie Deutschland könnten voraussichtlich den größten Rückgang beim Wohnungsbau verzeichnen – mehr als 30 Prozent im Jahr 2025 im Vergleich zu 2023. Die Experten erwarten, dass dies zu einem weiteren Anstieg der Immobilienpreise und Mieten führen wird. Und das, während in Deutschland ohnehin schon Hunderttausende Wohnungen fehlen.

Schaut man auf Eurostat-Daten, die Baukosten und erteilte Baugenehmigungen im Laufe der Zeit in europäischen Ländern erfassen, so gibt es in der Europäischen Union zunächst keine eindeutige Korrelation zwischen steigenden Baukosten und Baugenehmigungen.

Es scheint: Nicht nur die Baukosten sind entscheidend dafür, wie viele neue Wohnungen in Europa gebaut werden. So hat die Coronapandemie im EU-Schnitt zu einem Einbruch bei den Baugenehmigungen geführt. Außerdem gibt es keine Hinweise darauf, dass viele erteilte Baugenehmigungen Wohnraum bezahlbarer werden lassen. Denn dass Europas Hauptstädte zu wenig günstige Wohnungen haben, ist schon lange der Fall. Die durchschnittlich steigenden Baugenehmigungen haben daran nichts geändert. Die Lage hat sich eher verschärft.

In Deutschland brachen die Genehmigungen in der Pandemie nicht ein

In Deutschland stiegen im europäischen Vergleich in den vergangenen Jahren die Baugenehmigungen an – bis 2021. Einen kleinen Einbruch gab es nur während der Finanzkrise 2009. Selbst in der Pandemie blieb die Größe der genehmigten Fläche konstant.

Im direkten Vergleich der Länderdaten von Eurostat zeigt sich aber vor allem, wie unterschiedlich sich Baugenehmigungen entwickelt haben. Aus ihnen lässt sich auch lesen, wie sich die Größen der Flächen für die Baugenehmigungen für Wohngebäude entwickelt haben. Vor allem in Südeuropa ist keine Erholung seit der Finanzkrise erkennbar.

Baugenehmigungen oder die genehmigte Fläche ist nicht gleichzusetzen mit der tatsächlichen Bauaktivität oder der Quadratmeterfläche neu gebauter Wohnungen. Dennoch sind Genehmigungen ein Indikator für die Bauaktivität. Geht man davon aus, dass Projektentwickler nach Erhalt der Genehmigung tatsächlich bauen, vermitteln die Zahlen von Eurostat ein gutes, vergleichbares Bild für ganz Europa.

Blickt man auf die 2022 genehmigten Flächen pro Kopf in Europa, so liegt Deutschland im Mittelfeld.

Kleinere Staaten wie Zypern und Luxemburg verzeichnen 2022 pro Kopf die höchste Anzahl an Quadratmetern mit neuen Baugenehmigungen. Gerade aber beim deutschen Nachbar ist Wohnraum alles andere als günstig – Hauspreise haben sich in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdoppelt.

Und insbesondere in Luxemburg wurde in den vergangenen Monaten signifikant weniger genehmigt. Spielen steigende Baukosten doch eine größere Rolle bei der Bauaktivität?

Die Daten für Deutschland lassen das vermuten. Seit 2021 ist die Zahl der Baugenehmigungen eingebrochen. Von 2015 bis 2022 stiegen die Baukosten laut Eurostat um fast 40 Prozent.

Die Baugenehmigungen sinken weiter. Das Statistische Bundesamt meldete bereits für Januar bis November 2023 einen Rückgang der Baugenehmigungen um 25 Prozent im Vergleich zu 2022. „Für den Wohnungsbau in Deutschland war das vergangene Jahr ein verlorenes Jahr“, sagt Tim-Oliver Müller, Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie auf Anfrage dem Tagesspiegel. Die gefährliche Mischung aus exponentiell gestiegenen Zinsen sowie deutlich gestiegenen Baukosten belaste auch 2024 vor allem den Neubau.

Von dem starken Anstieg bei den Baukosten sind alle Länder in Europa betroffen – auch wenn die Bauaktivität nicht überall so stark abnimmt. Deutschland, die größte EU-Wirtschaft, liegt mit einem Anstieg von 37 Prozent leicht über dem EU-Durchschnitt. Der Baukostenindex von Eurostat zeigt, dass die Aufwendungen für Wohngebäude im EU-Schnitt in eben jenem Zeitraum um 31 Prozent stiegen: mit 96 Prozent am stärksten in Bulgarien.

Der Preisanstieg hängt vor allem mit dem Ukrainekrieg zusammen. Seit seinem Beginn haben sich Preise für Rohstoffe und Baumaterialen, besonders Stahl, fast verdoppelt. Viele Rohstoffe werden – oder wurden – aus Russland und der Ukraine geliefert. Andere sind in der Produktion sehr energieintensiv. Durch hohe Energiepreise werden somit auch die Rohstoffe teurer.

In der Folge wurden in ganz Europa Neubauprojekte gestoppt. „Aufgrund hoher Zinssätze kämpfen wir mit der Liquidität, um neue Wohnbauten zu finanzieren. Daher macht es Sinn, zu verschieben“, erklärt etwa ein Immobilien-Entwickler aus Prag. In Deutschland prognostiziert einer aus der Branche, der namentlich nicht genannt werden will: “Die Hälfte aller Projektentwickler wird pleite gehen.”

Die Unsicherheit bei den Projektentwicklern im Neubau macht sich in der Baubrache bemerkbar. Eine Studie des Ifo-Instituts zeigt, dass 22,2 Prozent der deutschen Bauunternehmen im Oktober 2023 Bauprojekte abgesagt haben. Bei einer Befragung des Instituts aus dem vergangenen Dezember meldeten 11 Prozent Finanzierungsschwierigkeiten. Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie bestätigt das. Für Januar bis November 2023 hatten die Bauunternehmer für den Wohnungsbau ein Umsatzminus von 10,5 Prozent gemeldet. Deutschland baut weniger.

Steigende Kosten bringen die Branche also in Bedrängnis. In Deutschland wie in anderen europäischen Ländern schlägt sich das in sinkenden Baugenehmigungen nieder. Doch während Marktanalysten und Projektentwickler oft behaupten, dass die Baukosten und die Bautätigkeit im Wohnungsbau einen großen Einfluss auf die Erschwinglichkeit von Wohnraum haben, lässt sich das mit den europäischen Daten für die vergangenen Jahre nicht bestätigen. Seit mehreren Jahren herrscht in Europa Wohnungsknappheit. Auch eine hohe Bauaktivität konnte daran bisher nichts ändern.

Jetzt schlägt auch die Baubranche Alarm. Die Rückgänge bezeichnet der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie als besorgniserregend – „nicht nur für die Bauunternehmen, sondern auch für die Menschen, die dringend eine Wohnung suchen“. Auch wenn der Verband einen leichten Rückgang bei den Baukosten erwartet, blieben sie im langfristigen Vergleich hoch, auch getrieben durch eine Vielzahl behördlicher Auflagen und Vorschriften. Für mehr bezahlbaren Wohnungsbau brauche es Investitionsanreize. Davon unabhängig würden Bund und Länder nicht an einer Entschlackung von Vorschriften und Vorgaben umherkommen.

Mit dem „Bau-Turbo-Pakt“, den Bund und Länder im November 2023 beschlossen haben, soll Bauen nun einfacher und schneller werden. 2022 hatte die Bundesregierung noch 400.000 neue Wohnungen pro Jahr versprochen. Anfang 2023 sagte Bundesbauministerin Klara Geywitz bereits, dass diese Zahl wohl erst 2024 erreichbar wäre. Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie rechnet für 2024 mit einer Fertigstellungsrate von knapp 200.000 Wohnungen.

Dieser Artikel wurde als Teil des Urban Journalism Network produziert, einem Netzwerk europäischer Medien, das sich den Herausforderungen europäischer Großstädte und Länder widmet. Das Projekt wird vom Stars4Media-Programm gefördert.

Das Team

Kirk Jackson
Webentwicklung
Gaby Khazalová
Recherche und Text
Lennart Tröbs
Design und Visualisierung
Helena Wittlich
Recherche und Text
Veröffentlicht am 7. Februar 2024.