Sie haben während oder zwischen den Lockdowns geöffnet, hatten kaum Gelegenheit sich zu präsentieren. Einige überbrückten die Zeit mit ausgefeilten Lieferangeboten oder kochten Bodenständiges zum Mitnehmen. Andere verpassten ihrem Gastraum ein neues Ambiente, feilten intensiv an ihrem Stil oder besetzten die Küche hochrangig neu.
Jetzt sind sie bereit, sich in Bestform zu präsentieren: Sieben frische Protagonisten in der gehobenen Liga der feinen Küchen Berlins. Viele mit französischem Hintergrund, manche ganz klassisch, andere mit nordischem Weitblick auf Saison und Produkte. Aber jeder ist auf seine Art einzigartig und wert, entdeckt zu werden. Dazu finden Sie alle Kontaktdaten, die liebsten Gerichte der Genussredaktion und ausgewählte Fotos von Speisen und Interieurs.
Schon vor dem Lockdown standen im ehemaligen „Herz & Niere“ die Zeichen auf Veränderung: Ex-Küchenchef Christoph Hauser wollte sich ganz seinem Bestellprojekt „Weck die Heimat“ widmen, Chef Michael Köhle mehr Gemütlichkeit in das Souterrainrestaurant bringen. Das gelang: Der Gastraum wurde stimmungsvoll überarbeitetet, ein Reifeschrank und eine kleine Bar sind dazugekommen. Letztere bietet Spontanbesuchern Kleinigkeiten zum Wein.
Die größte Veränderung findet sich aber in der Küche: Der neue Mann am Herd, Dominik Matokanovic, kombiniert in seinem nordisch-französisch geprägten Menü feinfühlig Techniken seiner früheren Stationen (u.a. „Fischers Fritz“, „Savu“) mit viel Selbermachen und dem, was Gastgeberin Viktoria Kniely spontan im Wald gesammelt hat (fünf bis sieben Gänge 70 – 94 Euro). Großartiges Teamwork, das bei saisonalen Gerichten wie Maibock-Tataki und Lachs mit Molke mit den passenden Weinen zur Hochform aufläuft.
Hier geht es familiär zu: Die Gastgeber Tim Hansen (Ex-Chef in Heiligendamm), Vitali Müller und Küchenchef Kamel Haddad kennen sich schon vom „Neumond“ in Mitte und sind auf der Suche nach einem Raum für eine offene Küche im verblichenen Charlottenburger „Juleps“ gelandet. Cool beleuchtet, mit vielen raffinierten Details in Schwarz gehalten – drinnen lässt es sich ebenso gut aushalten wie auf der Terrasse.
Der Name ist Konzept, das Menü wechselt monatlich und mit der Saison. Haddad kocht ungewöhnlich detailfreudig und mit vielen kleinen Komponenten ganz gegen den Trend zum Purismus, trifft aber geschmacklich immer den Punkt, zum Beispiel beim Lachstatar mit Ananas und Paprika, das mit Zebra-Tomaten und Nori arrondiert wird, beim grünen Erbspüree mit Pistazien, Himbeeren und Tahina oder beim kleinen Rinderfilet mit Karottenvariationen, Aprikose und Kardamom. Vier Gänge kosten sehr faire 55 Euro, und auch die Weine sind äußerst menschenfreundlich kalkuliert.
Kann man verstehen: Nach Jahren als Berlins edelster Kantinenwirt wollte Thomas Kammeier, Ex-Hugos, auch mal wieder ein wenig für die Galerie kochen und externe Gäste bewirten. Das große Restaurant, dessen Name vom amerikanischen Vorkriegsoldtimer-Auto geliehen wurde, hat metropolitanes Format, so etwas würde auch an den Kurfürstendamm passen in seiner architektonischen Eleganz. Das Konzept mischt Steakhaus mit Gourmetküche, ähnlich wie etwa im „Grill Royal“.
Das Fleisch kommt aus Spanien, den USA und Irland, das schmeckt man, auch wenn es klimapolitisch nicht ganz auf der Höhe der Zeit ist, dazu gibt es Fritten, Bearnaise und anderes in Top-Qualität. Aber auch die Vorspeisen wie die Fjordforelle mit Kamebishi-Sojasauce, Roten Beten und Brombeeren oder die Erbsen-Tortelloni mit Morcheln, Eigelb und Urmöhre aus der Küche von Chef Florian Peters machen Freude. Gastgeber Olaf Rode, alter Fahrensmann aus dem „Hugos“, steht für reichlich Charme und Weinsachverstand.
Manchmal werden auch Köche im Sommer versetzt – so wie Dirk Gieselmann, der frisch besternte Chef aus dem geschlossenen „Pauly Saal“. Der ausgeprägt elsässisch-französische Fokus der Küche ist nach Charlottenburg mitgereist, kein Wunder bei Gieselmanns Hintergrund als Küchenchef der weltberühmten „Auberge de l’Ill“. Aber hier geht es relaxter zu, Ziel ist eine Art Brasserie-de-luxe mit Klassikern wie der sanft angelegten Bouillabaisse, in der die tollen Fische und Meeresfrüchte klar die Oberhand gegenüber den Gewürzen behalten, bei der Erbsenvelouté mit Räucheraal, schmelzigen Ricotta-Gnocchi und Minze oder bei der mustergültigen Straßburger Foie gras mit Aprikosenchutney und Gewürztraminergelee.
Das feine Trüffelrisotto mit Rucola und Parmesan weist in Richtung Mittelmeer, genau wie der Steinbutt mit Fenchel, Oliven und Basilikumbutter. Zum unaufgeregten Konzept gehört auch, dass es Steaks mit den klassischen Beilagen gibt, und sogar ein Pfund Garnelen oder Moules frites sind zu haben und dazu Käse von Maître Philippe. Freundlicher Service, üppige Weinkarte – passt.
Die Lage an der dicht befahrenen Kreuzung Eberswalder Straße/Schönhauser Allee und die Nachbarschaft von zahlreichen trubeligen Fast-Food-Imbissen lässt nicht gerade vermuten, dass hier vor wenigen Wochen ein neues Restaurant mit Anspruch eröffnet hat. Das ahnt man erst im Innenraum mit seinem schicken Bartresen, den effektvoll teils freigelegten Wänden und der eng gestellten, aber hochwertigen Bestuhlung. Sicher zeigt sich das anvisierte hohe Niveau abends in der Ansage, nur ein Menü zu servieren (60 Euro/p. P., 30 Euro Weinbegleitung).
Die nordisch geprägten Speisen ändern sich nach Marktlage, beinhalten aber immer viel Selbstgemachtes und Fermentiertes aus den Gärgläsern, die im Restaurant verteilt sind. Dazu scheinen Regionalität, Nachhaltigkeit, ganze Verwertung von Tieren und Naturweine tragende Säulen der Küche zu sein. Das alles erinnert an das Konzept des nahegelegenen Restaurants „Otto“, hier aber ist der Hintergrund iberisch, mit einem Schuss Ausgelassenheit: Barbetrieb mit kleinen Snacks und jeden ersten Freitag im Monat „Austern Techno“.
Aus dem „Golvet“ mit weitem Blick über das Kulturforum ist Björn Swanson in den Schöneberger Akazienkiez gezogen, Altbau Parterre. „Faelt“ heißt sein kleines Eckrestaurant, das sich unverkrampft einer nachhaltigen Küche widmen will, ohne gleich „brutal lokal“ sein zu müssen. Es gibt nur ein Menü (neun Gänge / 89 Euro), auf Voranmeldung auch komplett vegetarisch. Die Getränkebegleitung bietet Wein, aber auch das mit „Brewdog“ entwickelte Rauchbier darf mitspielen bzw. eine Getränkebegleitung ohne Alkohol (59/50 Euro).
Bei schönem Wetter wird nur auf der Terrasse serviert, da ist auch mehr Platz als im Innenraum. Dafür muss, Tribut an die angenehme Lage, um 22 Uhr Schluss sein. Berliner Miso und Fischjus sorgen für Würze, Beurre blanc mit Eisenkraut und Butter aus karamellisierten Zwiebeln für Schmelz. Die Weinkarte umfasst 60 angenehm kalkulierte Positionen, die alle auch glasweise ausgeschenkt werden. Der Guide Michelin nutzte die wenigen Öffnungstage zwischen den Lockdowns und bedachte Swanson für sein Kiez-Abenteuer mit einem Stern.
Aufschwung Charlottenburg: Viele Gastronomen haben in den letzten Jahren den Charme der Straßen rund um den Savignyplatz entdeckt, wo das gelassene Bürgertum mit meist zu großen Autos den Ton angibt – da geht wieder was. Deshalb ist hier auch Arne Anker gelandet, der ehemalige Küchenchef des „Pauly Saals“. Das „Brikz“ – der Name nimmt die nackten Backsteine auf, die den Raum anheimelnd machen – ist ein schöner Rahmen für seine feinsinnige Autorenküche, die ausschließlich in einem Vier-Gang-Menü für 80 Euro angeboten wird (Vorauszahlung bei Online-Buchung).
Die Region ist Grundlage bei Gerichten wie dem Lachsforellentatar mit Römersalat, mariniertem Rettich und Algenpulver, den Zucchinischeiben mit Hafercreme, Basilikum und Lauchöl oder dem Iberico-Schweinenacken mit Roten und Gelben Beten. Kleine Marotte: Das herausragend gute hausgebackene Brot, zur Sättigung nicht unwesentlich, wird erst als eigener Zwischengang gereicht. Die Weinkarte ist überschaubar, versammelt aber die Kompetenz von Sommelière Maria Rehermann zu sehr annehmbaren Preisen.