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„Ein Post reicht, um den Laden vollzumachen“

Per Meurling aka @Berlinfoodstories ist mit 128.000 Followern Berlins einflussreichster Food-Influencer. Im Interview erzählt er, was Döner und Fine Dining gemeinsam haben, warum Essen auf Instagram politisch ist und wie Algorithmen mitbestimmen, welches Essen erfolgreich ist.
Per Meurling aka @Berlinfoodstories ist mit 128.000 Followern Berlins einflussreichster Food-Influencer. Im Interview erzählt er, was Döner und Fine Dining gemeinsam haben, warum Essen auf Instagram politisch ist und wie Algorithmen mitbestimmen, welches Essen erfolgreich ist.

Seit zehn Jahren empfiehlt Per Meurling auf Instagram als @Berlinfoodstories Restaurants. Wessen Essen dort gezeigt wird, ist längst Wirtschaftsfaktor geworden. Wir treffen ihn im Café Two Trick Pony, das hat er vorgeschlagen. Als das das Essen kommt – ein Full English Breakfast mit Wurst, Speck und viel Sauerteigbrot –, nimmt Meurling es vom Tisch, platziert es auf dem Betonboden und hält seine Spiegelreflexkamera darauf: Fotos für Insta, am Fenster ist mehr Licht. Getränke (Meurling trinkt eine hausgemachte Limonade und einen Kaffee) gehen aufs Haus, dazu pochierte Eier mit Mangold zum Probieren: Man kennt ihn.

Du postest fast jeden Tag Gerichte auf Instagram. Isst du das alles selbst?

Was ich poste, habe ich gegessen – zumindest probiert. Wie oft ich essen gehe? Je nach Woche vielleicht zehn bis 15 Mal.

[International und lecker – aber bitte klimafreundlich! In der Tagesspiegel-Videoserie sucht Gastronomin Daeng Khamlao nach Berlins Küchen der Zukunft. Hier finden Sie alle Folgen der Videoserie „Papaya und Pommes“.]

Auf vielen deiner Selfies isst du riesige Portionen, Fine Dining, aber auch Döner, frittiertes Hühnchen. Wie geht das, ohne stark zuzunehmen?

Ich hab’ wahnsinnig Glück mit meinem Körper. Der steckt das sehr gut weg.

Anfangs lag dein Fokus eher auf Imbissen und Street Food statt Edelrestaurants.

Gutes Essen erkennt man nicht am Preis. Dieser Sterneküchen-Fetischismus macht für mich keinen Sinn. Ich habe schon immer gerne Fine Dining gegessen, aber ebenso einfache Dinge. Immer mit einem Fokus auf Handwerk und Qualität.

Was heißt gutes Handwerk?

Natürlich Sterneküche – viele Stunden Arbeit, 10, 20, 30, Komponenten auf einem Teller. Wenn die am Ende alle zusammenspielen: krasses Handwerk. Aber wenn eine türkische Oma Mantı, türkische Teigtaschen, macht, nach einem uralten Rezept, und das mit Joghurt und Paprikaöl kombiniert, ist das genauso gut – und ebenso hochwertig.

Du hast öfter gesagt, dass den Deutschen Essen nicht viel wert ist.

Ja, sie wollen weniger ausgeben als in anderen europäischen Großstädten. Trotzdem soll die Qualität top sein, der Service auch. Ich soll stundenlang mein Gläschen Wein trinken können, ohne dass mich jemand rausschmeißt. Und auf Deutsch angesprochen werden, bloß nicht auf Englisch. Das macht viel der Gastro in Deutschland aus.

Inwiefern?

Die Restaurantszene spiegelt immer nur ihre Gäste. Und der deutsche Gast ist ein komplizierter. Wenig Geld ausgeben zu wollen, ist ja fine. Aber wenn gleichzeitig der Qualitätsanspruch hoch ist, wird das Betreiben eines Restaurants schwierig. Erstrecht, wenn man etwas starten will, das aus dem Rahmen fällt.

Trotzdem ist Berlin inzwischen bekannt für seine Food-Szene.

Ja, Anspruchshaltung und Zahlungsbereitschaft nähern sich einander an. In den letzten zehn Jahren hat sich viel getan, Berlin ist für mich der spannendste Gastro-Standort Europas.

In diesem Video könnt ihr sehen, wie die einzige thailändische Sterneköchin Deutschlands kocht. Außerdem spricht sie über ihre Erfahrungen im Männerbusiness der gehobenen Gastronomie.

Du hast mal gesagt: „Essen ist das neue Techno”. Wie die Partys wird auch das Essen in Berlin teurer.

Die Restaurants sind teurer geworden, weil sie es müssen… Es ist ein Spiel, ein Sich-Hochschaukeln: Der Gast wird inspiriert von Neuem, woraufhin die Leute mehr Kohle ausgeben: Sie sehen, dass sie dafür was Tolles bekommen. Oder jemand traut sich, was Besonderes zu machen. Es funktioniert. Das motiviert andere.

Zur Person

Meurling ist Schwede, wuchs aber im Hunsrück auf. 2009 kam er für einen Werbejob in der Startup-Szene nach Berlin, gründete später selber. 2012 startete er den Blog – zunächst für Freunde, sagt er. Mittlerweile betreibt er Instagram-Kanal, Website, ein kleines Stellenanzeigen-Portal und kann davon leben. Seine Haupteinnahmequelle sind Werbepartnerschaften – aber nicht mit Restaurants, von ihnen nimmt er kein Geld. Der 38-Jährige beschäftigt mittlerweile mehrere Freelancer. Den Instagram-Account betreibt er weiterhin ausschließlich selbst. Sein Kanal hat 128.000 Follower.

Neuerdings betreibt er außerdem ein Discord-Forum für zahlende Follower und spricht im Podcast „Imbiss 3000“ mit dem Youtuber „My Name is Andong“ über, natürlich, Essen.

Was sind die drei spannendsten Food-Trends in Berlin in den letzten Jahren?

Erstens eine neue Schicht an Restaurants zwischen Hochküche und Imbiss, zwischen Hummer und Nudelbox, Casual Dining. Etwa das Barra in Neukölln, das Restaurant im Michelberger-Hotel oder das Lode & Stijn.

Zweitens?

Bessere Produkte und Farm-to-table-eating. Berlin war lange bekannt für den schlechten Zugang zu guten Zutaten. Man hat gesagt: Die Transporter aus Frankreich und Italien kommen erst am Schluss nach Berlin und kehren aus. Und vor zehn Jahren fand man in Brandenburg kaum einen Biobauern, der für dich persönlich eine alte Kuh schlachtet. Mittlerweile haben Gastronomen sich ein Netzwerk aus Produzenten im Umland mit aufgebaut.

Ein dritter Trend?

Internationalisierung. Expats und ihre Kulturen prägen die Gastronomie krass.

Du begleitest die Berliner Gastro seit neun Jahren. Bist du Gastrokritiker?

Ich schreibe keine Verrisse. Ich gebe Empfehlungen. Wenn es mir wo nicht schmeckt, schreibe ich nichts.

Kürzlich hast du eine Rassismus-Debatte auf Instagram losgetreten. Du hast das neue Restaurant „Dashi“ empfohlen und das Essen als „japanische Fusionküche“ bezeichnet. Die Gründerinnen aber legen Wert darauf, dass sie eine panasiatische Küche anbieten, keine aus einem bestimmten Land.

Ein schwieriges Thema. Die Gründerinnen identifizieren sich mit dem Label „japanisch“ überhaupt nicht, in einem Opening Statement hatten sie klar gemacht, dass sie panasiatisch kochen. Ich hatte es nicht gelesen – ganz klar ein Fehler. Das meiste, was ich dort aß, hatte japanische Wurzeln. So kam ich auf „japanisch“. Unter dem Post entstand eine Diskussion, einige Kommentare waren rassistisch.

Und ich habe – Riesenfehler! – Antworten ins Handy getippt, während mein Zweijähriger mir am Bein hing. Zum Beispiel pflichtete ich einem Kommentar bei, in dem es hieß: Es wäre schön, wenn es mehr japanische Restaurants in Berlin gäbe. Harmlos. Drüber stand aber ein rassistischer: „leider“ seien die Besitzerinnen vietnamesisch. Hatte ich nicht gesehen. Mein Post war also nicht nur sehr unangebracht, sondern beinhaltete auch rassistische Kommentare. Die ganze Sache tut mir wirklich leid und ich habe viel daraus gelernt.

Klingt, als sei Essen sehr politisch geworden ist in Berlin?

Ja, auf jeden Fall.

Wann ist das passiert?

Vor zehn Jahren war das jedenfalls kein Thema. Den Scheiß, den ich damals teilweise geschrieben habe – geht überhaupt nicht. Seitdem habe ich viel gelernt. Noch politischer ist es seit Black Lives Matter: der Raketenanzünder. Die Bewegung hat vielen Leuten eine Stimme gegeben, die vorher keine hatten. Das finde ich sehr gut.

Hat auch Instagram als Plattform etwas damit zu tun?

Teilweise. Es gibt im Internet einen Bedarf, Sachen zu labeln, etwa mit einem Hashtag wie „japanisch“. Man muss Dinge einsortieren, damit jemand findet, wonach er sucht.

Auf Instagram reichen gute Fotos oft schon fast, um Reichweite zu erzielen.

Ja, voll. Viele verlassen sich mittlerweile krass auf Instagram. Das führt zu Problemen wie diesem. Die Qualität leidet. Ich baue gerade meine Webseite neu, um wieder mehr Tiefe zu haben. Der Instagram-Content eskaliert schnell, viele Themen behandelt er nicht ausreichend.

Warum eskaliert der Instagram-Content so?

Internetkultur! Es ist alles einfach außer Kontrolle. Ein Post reicht, um einen Laden voll zu machen, wochenlang. Es ist ein krasses Leitmedium.

Instagram als Leitmedium für Essen?

Für alle Kaufentscheidungen: Was kaufe ich? Vor allem: Wo gehe ich essen? Es passt perfekt zum Thema: visuell, schnell konsumierbar. Außerdem gab es eine riesige Zielgruppe, die keinen Bock mehr hat, lange Gastrokritiken zu lesen. Die Leute unterschätzen, wie relevant Instagram geworden ist.

Wie findest du neue Restaurants?

Auch oft über Insta. Natürlich schaue ich mir an, was die etablierten Leute machen. Es gibt auch Mikro-Influencer, die sich etwa auf chinesische oder syrische Küche spezialisieren. Taucht etwas an mehreren Stellen auf, ist das oft ein spannendes Zeichen. Die meisten Tipps erhalte ich allerdings per Direktnachricht oder Verlinkung.

Apropos Trends. Auf deinen Selfies sieht man dich oft genüsslich riesige Portionen Fleisch essen. Noch zeitgemäß angesichts der Klimakrise?

Ja und nein. Ich plädiere für einen sehr nachhaltigen Umgang mit dem Thema Fleisch: weniger, dafür hochqualitativer und Fokus auf Nachhaltigkeit. Das ist privilegiert, kann sich nicht jeder leisten. Ich werde meinen Konsum in Zukunft weiter verringern. Das Interessante an dem Thema ist aber auch wieder Social Media.

Warum beim Thema Fleisch?

Fleisch performt auf Instagram einfach besser.

Das ist messbar?

Auf jeden Fall, fragt jeden, der sich damit auskennt! Ist natürlich keine Excuse, mehr Fleisch zu essen. Aber die Posts laufen besser.

Gilt das generell?

Entweder du machst vollkommen veganen Content, dann läuft das für dich auch. Aber ein Veganer kann kein Steak posten – ebenso wenig kann ich einen veganen Chiapudding posten. Das sind zwei komplett verschiedene Zielgruppen, die der Algorithmus getrennt behandelt.

Was glaubst du denn, wie wir in zehn Jahren in Berlin essen?

Wir werden unser Konsumverhalten gezwungenermaßen drastisch ändern. Es wird einfach nicht mehr so viel Fleisch geben. In der Welt der künstlichen Proteine hat sich viel getan, 3D-gedrucktes Steak, krasse künstliche Fette. Und viel weniger Menschen werden in der Gastro arbeiten wollen. Roboter werden Essen machen, es wird mehr Ghost Kitchens geben. In Sachen Vielfalt und Qualität sind wir wohl fast am Peak. Außerdem ziehen derzeit noch viele her, die keinen Bock mehr haben auf London oder Kopenhagen. Dieser Zustrom ist noch längst nicht vorbei. Er wird weitergehen, bis Berlin sich in Sachen Lebensqualität angeglichen hat und es hier genauso teuer wird.

Klingt eher pessimistisch.

Es wird auch positive Effekte geben: weniger Massenware, nachhaltigeres Denken. Keine Sorge, Berlin bleibt für mich der spannendste Gastro-Standort in Europa.

Papaya & Pommes: Das Projekt

Die Serie Papaya & Pommes beschäftigt sich mit den Klimafolgen unserer Ernährung und internationaler Gastronomie. .

In einer Videoserie begleiten wir dabei die Gastronomin Daeng Khamlao auf einer Suche. Sie befindet sich in einem inneren Konflikt. Für die gebürtige Thailänderin ist asiatisches Essen ein Stück ihrer Identität. Dabei sind die Zutaten oft von weither importiert und nicht immer klimafreundlich oder nachhaltig. Wie kann Daeng klimafreundlich kochen, ohne dabei auf die Gerichte aus ihrer Heimat zu verzichten?

In der Videoserie, die der Tagesspiegel mit der Berliner Produktionsfirma Schuldenberg Films entwickelt hat, begibt sie sich auf die Suche nach einer Lösung für ihr Dilemma. Daeng, die das Restaurant The Panda Noodle in Kreuzberg betreibt, besucht in fünf Folgen verschiedene internationale Restaurants und Essensprofis in Berlin und lässt sich ihre Küchen zeigen. Dabei versucht sie, herauszufinden: Wie klimaschädlich ist welche Art zu Kochen wirklich? Kann man weit gereiste Zutaten für thailändische, afrikanische oder indische Gerichte durch regionale Zutaten ersetzen? Oder ist das vielleicht gar nicht nötig? Sie findet dabei ungewöhnliche Gerichte – und vielleicht auch ein bisschen etwas von Berlins Küchen der Zukunft.

In der ersten Folge trifft Daeng die Ernährungsökonomin Ann-Cathrin Beermann und zeigt ihre eigene Küche. Ihr könnt die Serie direkt hier oder auf Youtube ansehen. In Folge zwei besucht sie besondere indische Restaurants. Und in der dritten Folge geht es um vegane Küche mit der Autorin Sophia Hoffmann.

Die Autorinnen und Autoren

Nina Breher
Interview
Hendrik Lehmann
Interview
Anthea Schaap
Fotos
Veröffentlicht am 5. Februar 2022.
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