Artikel teilen
teilen
Immobilienanalyst im Interview

„Ich denke, dass mehr und mehr Kapital in den Wohnungsmarkt fließen wird“

Tom Leahy ist Datenanalyst bei Real Capital Analytics, einer der größten Analysefirmen für Immobilienverkäufe weltweit. Im Interview erklärt er, warum der Mietwohnungsmarkt gerade erst am Anfang steht – und wie die Pandemie das begünstigt.
Tom Leahy ist Datenanalyst bei Real Capital Analytics, einer der größten Analysefirmen für Immobilienverkäufe weltweit. Im Interview erklärt er, warum der Mietwohnungsmarkt gerade erst am Anfang steht – und wie die Pandemie das begünstigt.
Foto: Real Capital Analytics

T om Leahy ist aus seinem Büro im Londoner Zentrum zugeschaltet. Er ist Immobilienanalyst für die Bereiche Europa, Naher Osten und Afrika beim Unternehmen Real Capital Analytics (RCA). Leahy analysiert, erforscht und schreibt über Immobilientransaktionen. Um ihn herum sind die Arbeitsplätze leer. Die anderen sind im Homeoffice. Doch seinem Unternehmen geht es trotz der Pandemie gut. Gegründet 2001 in New York, hat RCA das Ziel, alle wichtigen Immobilientransaktionen weltweit zu verfolgen. Mittlerweile hat das Unternehmen Büros in New York, London, Amsterdam, Wien, Singapur und Sydney. Zu seinen Kunden zählt es Investoren, Banken, Immobilienmakler und Fondsmanager.

RCA sammelt Daten über Immobilientransaktionen, indem sie öffentlich zugängliche Informationen, Nachrichten aus der Branche und Daten von Kunden oder Datenanbietern kombinieren. Ihre Datenbank ist mittlerweile eine der umfassendsten der Welt. Im Interview mit Adriana Homolova in Utrecht und Hendrik Lehmann in Berlin spricht Leahy über den europäischen Wohnungsmarkt und den enormen Anstieg der Investitionen in Mietwohnungen in den vergangenen zehn Jahren. Seine Prognose: Das Modell der großen deutschen Wohnungsunternehmen wird zum Vorbild für andere Städte in Europa.

Seit einigen Jahren gibt es einen enormen Anstieg der Investitionen in Wohnungen. Was sind die Gründe?

Es gibt zwei Immobilienmärkte: den vor der globalen Finanzkrise und den danach. Nach der Krise bewegte sich ein Großteil der Welt in Richtung Niedrigzinsen; die Zentralbanken haben die Zinsen auf ein historisch niedriges Niveau gesenkt. Dadurch wurden Immobilien als Anlageklasse wesentlich attraktiver. Die Niedrigzinsen sind wie der Ozean, in dem der Immobilienboom schwimmt.

Was heißt das?

Eine Möglichkeit, die Attraktivität von Immobilien zu messen: Man nimmt die Renditen von Staatsanleihen als Basis und vergleicht diese mit den Renditen beim Kauf von Immobilienanlagen. Im Vergleich zu Staatsanleihen sind die Renditen bei Immobilienanlagen viel höher. Da lohnt sich das leicht höhere Risiko.

Aber warum wird in Mietwohnungen investiert, statt in andere Immobilien?

Durch die Verlagerung zum Online-Shopping ist das Interesse am Einzelhandel insgesamt gesunken. Einzelhandelsimmobilien war lange eine tragende Säule in den Portfolios institutioneller Investoren. Jetzt gibt es an vielen Standorten aber einfach zu viele Gewerbeimmobilien, sodass die Mieten und die Auslastung gesunken sind. Es gibt also einen Push-Faktor weg vom Gewerbe und einen Pull-Faktor hin zu Wohnungen. Zusätzlich haben die Investoren den Trend zur Urbanisierung festgestellt.

Ja, die Hauptstädte in ganz Europa wachsen.

In den weniger reifen Märkten konzentrierte sich ein großer Teil des Mietwohnungsmarkts auf jüngere Menschen in ihren 20ern und frühen 30ern. Aber jetzt bauen und kaufen mehr Investoren Wohnungen, die auch für Familien geeignet sind, so wie wir es in Deutschland schon länger sehen.

Warum haben sie das früher nicht getan?

Masse ist entscheidend. Wenn ein Investor in den nächsten zwei Jahren 600 Millionen Euro im europäischen Wohnungsmarkt ausgeben will, dann muss er viele Wohnungen kaufen. Eine solche Größenordnung zu erreichen, ist im Wohnungsmarkt nicht so einfach. Aber wenn der Investor der Bundesbank sein Geld gibt und diese ihm eine negative Rendite auf eine 10-jährige Anleihe zahlt, dann sieht eine langfristige Rendite von zwei bis drei Prozent pro Jahr durch eine Investition auf dem Wohnungsmarkt plötzlich sehr attraktiv aus. Und Investoren haben verschiedene Möglichkeiten, die Investition anschließend zu optimieren.

Zum Beispiel?

Die Mieten bedeuten regelmäßige, stabile Einnahmen für Immobilieneigentümer. Aber die Rendite auf das investierte Kapital kann noch auf viele weitere Arten erhöht werden, zum Beispiel durch Mieterhöhungen nach Modernisierungen, oder die Bereitstellung zusätzlicher Dienstleistungen.

In einer aktuellen Analyse kamen Sie zu dem Schluss, dass die Covid-19-Pandemie die bestehenden Trends noch verstärkt hat.

Wir sind alle zuhause, kaufen online, die Geschäfte sind geschlossen. Schon vor der Pandemie stiegen die Investitionen in Wohnungen und Industrieimmobilien allmählich an. Aber einige Branchen sind durch die Verlagerung zum Onlineshopping allein in den letzten zwölf Monaten so stark gewachsen wie normalerweise in fünf bis zehn Jahren zu erwarten wäre. Das hat zu einer höheren Nachfrage nach Lagerflächen geführt.

Und bei Wohnungen?

Da sind die Mieteinnahmen, im Gegensatz zum Gewerbe, konstant geblieben. Betrachtet man den gesamten Geschäftszyklus, können 90 Prozent der Menschen weiterhin ihre Miete bezahlen. Das liegt auch an den Nothilfen, die die Regierungen gewähren.

Glauben Sie, dass der Kapitalfluss anhalten wird?

Es gibt noch große Chancen, diesen Markt weiter zu professionalisieren. Ein Großteil der Branche war lange auf kleinere Anbieter wie Wohnungsbaugesellschaften oder gar individuelle Eigentümer aufgeteilt. Professionalisierung bedeutet hier wirklich Masse. In weniger reifen Märkten wie Irland oder Großbritannien zum Beispiel müssen Investoren den Wohnungsbestand erst selbst bauen, weil es ihn einfach nicht gibt. In anderen Märkten hat es den Wohnungsbestand bereits gegeben. Deutschland ist das beste Beispiel dafür.

Sie argumentieren, dass Deutschland also ein solcher „reifer Markt“ ist – der zum Vorbild für den Mietmarkt in anderen Ländern werden könnte?

Deutschland zeichnete sich schon immer als ein Land aus, in dem die Mehrheit der Menschen zur Miete lebt. Hier ist das Vermietungsgeschäft am etabliertesten, mit vielen großen börsennotierten Akteuren. Daher gibt es hier große Märkte für Wohninvestitionen, während diese Anlageklasse in anderen Ländern weniger ausgereift ist.

Wie stark treiben die Investments die Immobilienpreise in die Höhe?

Unsere Daten zum Amsterdamer Wohnungsmarkt zeigen beispielsweise, dass die Wohnungspreise in den vergangenen fünf Jahren um 85 Prozent gestiegen sind. Aber das ist nicht in jedem Markt der Fall.

Und im Rest von Europa?

Europa ist sehr heterogen. Großbritannien ist ein relativ unreifer Markt, dasselbe gilt für Irland und Spanien. In Frankreich ist der Markt für Investitionen in Wohnungen noch nicht sehr ausgereift; in Italien ist er nicht sonderlich groß, im Allgemeinen besitzen die meisten Italiener ihr eigenes Haus. Die skandinavischen Länder liegen irgendwo zwischen Deutschland und, sagen wir, Großbritannien. In den USA ist der Mehrfamilienhaussektor schon lange die mit Abstand größte Anlageklasse bei den Immobilien, während es in Europa immer noch Büros sind. Aber das könnte sich in den nächsten zwölf Monaten ändern.

Gibt es eine Stadt, für die sich Investoren in den vergangenen Jahren besonders interessiert haben?

Da gibt es einige. Dublin zum Beispiel, weil es dort eine Menge neuer Jobs im Technologiesektor gibt. Die Immobilienpreise sind dort seit der Finanzkrise sehr stark gestiegen. In Amsterdam war in den letzten Jahren sehr viel los, ebenso in Kopenhagen. Berlin ist insgesamt sehr in der Gunst gestiegen, egal ob es sich um Wohnungen oder Büros handelt. Die Stadt ist unglaublich dynamisch. Und auch viele der großen Immobiliendeals in London drehten sich dieses Jahr um Mietimmobilien.

In mehreren Städten wurden in den letzten Monaten Mietpreisregulierungen eingeführt. Hat sich das auf die Investitionen ausgewirkt?

Einige Investoren haben sich in der Vergangenheit von Wohnimmobilien ferngehalten, weil es politische Risiken gab, etwa bei der Regulierung von Mieten. Und der Markt hat sich in letzter Zeit stark verändert. Aber es ist schwer zu sagen, wie viel davon auf Regulierungen und wie viel auf die Pandemie zurückzuführen ist. Aber gerade wegen der Lockdowns sind Wohnungen für Investoren sehr attraktiv geblieben. Zu Beginn des Jahres erreichten die Investitionsvolumina in Wohn- und Gewerbeimmobilien den höchsten Anteil, den wir je in unserer Analyse verzeichnet haben.

Welche Arten von Investoren sind neu im Markt für Mietwohnungen?

Viele der großen Investmentmanager, die ihr Kapital in erster Linie aus Pensions- und Versicherungsfonds beziehen, drängen in den Sektor, aber auch Staatsfonds und einige Privatanleger. Ich habe kürzlich eine Analyse unserer Daten über die 50 größten institutionellen Immobilieneigentümer in Europa durchgeführt und festgestellt, dass im vergangenen Jahr 30 Prozent aller Gelder in den Wohnungsmarkt geflossen sind. 2007 waren es nur etwa 10 Prozent.

Warum ist es so viel profitabler, die Wohnungen zu vermieten, anstatt sie zu kaufen und wieder zu verkaufen?

Pensions- und Versicherungsfonds investieren, weil sie Einnahmen erzielen wollen, da sie zukünftige Verbindlichkeiten bedienen müssen. Gleichzeitig müssen sie die Mitglieder der Pensionskasse auszahlen. Mit den regelmäßigen Miteinahmen finanzieren sie neben ihren anderen Anlagen diese Verbindlichkeiten.

Wie stellen Sie sich den Immobilienmarkt in fünf Jahren vor?

Die allgemeine Erwartung ist, dass die Zinsen in Europa noch länger niedrig bleiben werden. Ich denke, dass mehr und mehr Kapital in den Wohnungsmarkt fließen wird, weil die strukturellen Faktoren den Kapitalfluss in diesen Teil des Immobilienmarkts lenken.

Es werden also in Zukunft noch mehr Menschen zur Miete leben?

Das Wohneigentum ist für viele nicht erschwinglich, also ist das Mieten die einzige Option, auf die viele zurückgreifen müssen; und so fließt das Kapital auf natürliche Weise in diesen Mietmarkt. Gerade in Städten, in denen viele Menschen leben wollen, wie Berlin oder London, ist es nicht verwunderlich, dass die Mietpreise steigen, da die Nachfrage nach Wohnraum zunimmt. Und das schafft einen Anreiz, den Wohnungsmarkt weiter zu professionalisieren.

Ein Teufelskreis also. Wegen der steigenden Immobilienpreise können sich weniger Menschen eine Wohnung kaufen, also werden mehr Menschen zur Miete wohnen, was die Kosten für die Miete erhöht?

Es ist eine Art selbsterfüllende Prophezeiung, wenn die Immobilienpreise weniger erschwinglich werden, müssen die Leute zur Miete wohnen. Aber die neoklassische Ökonomie würde sagen, dass das Angebot in Form von Neubauten kommt, um die steigende Nachfrage zu befriedigen. Und das würde den Trend zu steigenden Mieten dämpfen und wieder erschwinglicher machen.

Das Interview führten Adriana Homolova und Hendrik Lehmann. Zusätzliche Übersetzung und Bearbeitung: Sidney Gennies, Sinan Reçber und Gurmeet Singh.

Veröffentlicht am 10. Mai 2021.
javascript:console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })