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„Männer in dem Beruf sind  Egomanen“

Schlimmer als in Dax-Vorständen: Nur vier Prozent aller Sterneköche sind Frauen. Warum ist das so? Zwei Aussteigerinnen berichten von sexistischen Sprüchen und Arbeitsdruck.
Schlimmer als in Dax-Vorständen: Nur vier Prozent aller Sterneköche sind Frauen. Warum ist das so? Zwei Aussteigerinnen berichten von sexistischen Sprüchen und Arbeitsdruck.

Der Schmerz, die psychische Belastung machten sich zu Hause bemerkbar. Sie konnte nicht mehr richtig schlafen. „Ich habe nie in der Küche geweint“, sagt Victoria. Aber ein paar Mal kippte sie vor Belastung um. Die Ausraster des Sternekoch-Chefs, ständige Zurechtweisungen durch männliche Kollegen, sexistische Witze, Belästigung – das war einfach zu viel.

Viktoria hat in einer Sterneküche gearbeitet. Mittlerweile ist sie ausgestiegen. Sie heißt eigentlich anders. Damit sie nicht erkannt wird, nennt ihre Geschichte auch keine Orte. Die Gastroszene ist gut vernetzt, Viktoria will keine Probleme bekommen.

Ihr Fall zeigt, warum Frauen es in der Sternegastronomie womöglich schwerer haben als Männer. Nur vier Prozent der Sterneköch:innen in Deutschland sind weiblich. Selbst in Dax-Vorständen ist der Frauenanteil mit über 17 Prozent deutlich höher. Dort gibt es zwar eine Quote. Aber auch im deutschen Bundestag, wo längst nicht alle Parteien Quoten haben, sind ein Drittel der Abgeordneten Frauen. Die Spitzengastronomie ist davon weit entfernt.

Die Frauenquote in verschiedenen Branchen

Viktoria hat in mehreren Sternerestaurants gearbeitet. Hart war es immer, lange Arbeitszeiten, zu viel Arbeit für zu wenig Leute, schlechte Bezahlung. Aber in der letzten Küche wurde es zu viel. Da war der Kollege, der sie regelmäßig am Hintern zur Seite schob, wenn er vorbei wollte. „Für Männer war so ein Verhalten selbstverständlich“, sagt sie, damals die einzige Frau in der Küche. „Wenn man sie auf ihr Verhalten hinweist, pampen sie einen an, dass man nicht so ein Drama draus machen soll.“ Sexistische Witze hätten auf der Tagesordnung gestanden. „Upps, sorry, haben vergessen, dass du auch da bist“, flachsten die Kollegen im Anschluss an solche Scherze.

Sternerestaurants sind die feinsten und teuersten gastronomischen Einrichtungen. Jährlich zeichnet der französische Reifenhersteller Michelin die weltweit besten Restaurants aus. Die sogenannten Michelin-Sterne sind gewissermaßen die Währung der Branche. Ein Stern heißt: „einen Stopp wert“, zwei sind laut dem Guide Michelin „einen Umweg wert“. Bei drei Sternen ist das Restaurant sogar eine Reise wert.

In Deutschland hat noch keine weibliche Küchenchefin drei Sterne, also die höchste Auszeichnung, erhalten. Nur zwei bringen es mit ihren Restaurants auf zwei Sterne – dem gegenüber stehen 42 männliche Kollegen. In anderen Ländern ist die Lage nicht besser. 2019 versprach der „Guide Michelin“, mehr Frauen zu prämieren. Zumindest in Frankreich, Großbritannien und Deutschland sind es jedoch weiterhin wenige.

Sterneköch:innen im internationalen Vergleich
Quellen: Restaurant Ranglisten, The Staff Canteen, eigene Recherchen

Woran liegt es, dass so wenige Frauen es in der Branche nach oben schaffen? Gründe auszusteigen, scheint es genug zu geben. Auch Klara hat eine Ausbildung in der Sterneküche hinter sich, auch sie heißt eigentlich anders. Dass man sich als Frau beweisen muss, das hat sie am Ende ihrer Ausbildung zur Köchin in der Sternegastronomie nur noch genervt. „Ich habe sogar überlegt, ob ich abbreche“, sagt die junge Frau am Telefon. Wie Viktoria arbeitet sie heute nicht mehr in der gehobenen Gastronomie. Sie sei zuverlässig gewesen, habe nie gefehlt, gute Arbeit geleistet. Trotzdem sei sie anders wahrgenommen worden als ihre männlichen Kollegen.

400 Euro weniger – trotz identischer Position

Viktoria bestätigt den Eindruck. Der Kollege, der sie regelmäßig begrapschte, korrigierte sie auch ständig beim Kochen. Dabei arbeiteten sie auf der gleichen Position. Immerhin: Der Sous-Chef bekam die Meckerei des jungen Kochs mit und wies ihn zurecht. In einer anderen Küche verdiente Viktoria 400 Euro weniger als einer ihrer Kollegen – trotz identischer Position.

Neben Sexismus gibt es weitere Faktoren, die vor allem Frauen den Aufstieg in einer Sterneküche erschweren, auch harte körperliche Arbeit gehört dazu, sagt Klara. „Wenn man ein halbes Lamm auseinandernehmen muss, ist das schon harte Arbeit.“ Wenn man als Frau sowieso schon Schwierigkeiten hat, im Team ernstgenommen zu werden, wird es hier besonders hart zu bestehen. „Ich wollte oft nicht um Hilfe bitten, damit ich nicht schief angeschaut werde“, erzählt Viktoria. Das habe bei ihr dann zu Rückenschmerzen geführt.

Das sagen die Sterneköchinnen selbst

Warum gibt es wenige Frauen in der Sterneküche in Deutschland? Vier Küchen­chefinnen aus verschiedenen Regionen Deutschlands, die das Tagesspiegel Innovation Lab zu dem Thema befragt hat, sind sich einig.

Hedi Rink
Restaurant Urgestein, Neustadt an der Weinstrasse

„Gastronomie ist immer ein schwerer, in der Küche auch körperlich kräftezehrender Beruf“, sagt Rink. Die Arbeitszeiten ließen sich kaum mit einem normalen Familienleben vereinbaren. „In anderen Branchen lässt sich der Lebensunterhalt halt auch leichter und familienfreundlicher verdienen.“

Cornelia Fischer
Restaurant Weinstock, Volkach

„Spitzengastronomie und Familie unter einen Hut zu bekommen ist schwierig“, sagt Fischer. „Das fängt mit den Arbeitszeiten an und hört mit dem eigenen Anspruch und Einsatz auf. Auf einem gewissen Niveau zu kochen, setzt einen hohen Arbeitseinsatz mit Zeitaufwand voraus.“

Sarah Henke
Restaurant Yoso, Andernach

Für Sarah Henke waren die langen Arbeitszeiten eine der größten Herausforderungen auf dem Weg zum Erfolg – der Verzicht auf das soziale Leben habe ihr zu schaffen gemacht. Die 39-Jährige war früher Küchenchefin im „A-Rosa“ auf Sylt. „An Familienfeiern oder bei Freundestreffen dabei zu sein, war eher selten. Das hat mich schon sehr belastet, und mich das ein oder andere Mal vor die Frage gestellt, ob sich das alles lohnt“, sagt sie. Für sie habe es sich aber am Ende ausgezahlt: „Inzwischen kann ich sagen, dass sich die Zeit, die ich damals investiert habe, gelohnt hat.“

Dalad Kambhu
Restaurant Kin Dee, Berlin

„Die Branche ist Frauen nicht gewohnt”, sagt Dalad Kambhu. “Die meisten Köche sind weiße Männer. Das System macht es ihnen leicht, weil es von ihnen geschaffen wurde.“ Als sie sich ein Kochhemd bei einer Firma bestellen wollte, war ihr die kleinste Größe zu klein. Als sie fragte, was die Frauen tragen, hieß es: Die tragen einfach Männershirts.

Bilder: Urgestein, Romantik Hotel zur Schwane, imago/Sven Simon, Kin Dee/Robert Rieger

Professionelle Gastro-Betriebe sind straff organisiert, manche würden sagen: fast militärisch. Wenn das Restaurant voll ist, muss hinten in der Küche alles reibungslos funktionieren, der Chef oder eben die Chefin hat das Sagen.

Dann wird der Ton auch mal rauer, das ist spätestens seit Gordon Ramsay öffentlich bekannt. Der britische, mit drei Sternen ausgezeichnete Koch ist nicht nur für sein Essen, sondern auch für seine Ausraster berühmt. Auch der Berliner Sternekoch Tim Raue schnauzt in der Netflix-Serie „Chef’s Table“ seinen Mitarbeiter an: „Beweg deinen verfickten Arsch und bring mir schnell die Palette!“ Der teilweise raue Ton hat womöglich auch mit dem Druck in der Branche zu tun: Der Koch kann durch jeden kleinen Fehler seinen Stern verlieren.

In diesem Video könnt ihr sehen, wie die einzige thailändische Sterneköchin Deutschlands kocht. Außerdem spricht sie über ihre Erfahrungen im Männerbusiness der gehobenen Gastronomie.

Auch Branchen-Aussteigerin Viktoria berichtet von Töpfen, die durch die Küche flogen. Bei kleinsten Fehlern sei der Chef ausgerastet, habe den Koch oder sie persönlich fertig gemacht. „Die ganzen Köche werden vom Küchenchef kleingehalten und müssen dann über Frauen lästern“, meint Viktoria mit Blick auf den sozialen Druck, den andere Männer ausüben.

Großes Ego, cholerisch, arrogant: „Viele der Klischees, die man über Köche kennt, sind wahr“, sagt Viktoria. „Männer in dem Beruf sind schon Egomanen, die sehr von sich überzeugt sind“, sagt auch Klara. Einige hätten ihr zufolge sicherlich ein Problem damit, eine Frau neben sich zu akzeptieren.

Generell sind die Küchenchefs oft Männer, auch in Nicht-Sterneküchen. Das zeigen Daten der Bundesagentur für Arbeit. Die Frauenquote in Führungspositionen in Küche beträgt nur 17,3 Prozent. Dabei sind die Hälfte der Köch:innen in Deutschland Frauen.

Die Frauenquote in der Küche unterscheidet sich je nach Position
Nach den Klassifizierungen der Bundesagentur für Arbeit sind das Küchenchef:innen, aber auch Sous-Chef:innen und Küchenmeister:innen.
Quellen: Restaurant Ranglisten, Bundesagentur für Arbeit, eigene Recherchen

Immerhin: 2021 gibt es in Deutschland 14 Sterneköchinnen, 2020 waren es nur acht. Ein Zuwachs also. Ob das ein Trend ist oder wird, lässt sich aber nicht sagen. Denn die Zahl der jährlich mit Sternen ausgezeichneten Köch:innen werden nicht gesammelt. Den Stern erhält nämlich das Restaurant, nicht die Küchenchefin. Wer in den hunderten Küchen das Sagen hat, wissen Expert:innen – oder es müsste einzeln nachgeschaut werden. Wie viele Frauen in vergangenen Jahren ausgezeichnet wurden, lässt sich maximal sporadisch mithilfe weniger Medienberichte rausfinden.

Branchen-Aussteigerin Viktoria jedenfalls glaubt nicht so richtig an einen Wandel. Es gebe zu wenige Frauen in der Küche, das Verhalten der Männer lasse sich so nicht ausgleichen, sagt sie. Dass es auch anders geht, zeigt ihr ihr aktueller Job. Sie ist immer noch Köchin, nur eben ohne Stern. „Ich will einfach nur geil kochen, dafür muss ich nicht 18 Stunden in der Küche stehen.“

Auch Klara hatte keine Lust mehr auf das Männerbusiness Sternegastronomie – und hat ein eigenes Café eröffnet. Am Anfang hätten sie nicht alle ernstgenommen mit ihrer Idee, sagt sie. Zu Unrecht: Ihren Laden gibt es seit sechs Jahren. Ab und zu würden noch Sprüche von Lieferanten kommen. Ob sie die schwere Ware tragen könne? „Bekomm’ ich schon hin“, sagt sie dann.

Papaya & Pommes: Das Projekt

Die Serie Papaya & Pommes beschäftigt sich mit den Klimafolgen unserer Ernährung und internationaler Gastronomie.

In einer Videoserie begleiten wir dabei die Gastronomin Daeng Khamlao auf einer Suche. Sie befindet sich in einem inneren Konflikt. Für die gebürtige Thailänderin ist asiatisches Essen ein Stück ihrer Identität. Dabei sind die Zutaten oft von weither importiert und nicht immer klimafreundlich oder nachhaltig. Wie kann Daeng klimafreundlich kochen, ohne dabei auf die Gerichte aus ihrer Heimat zu verzichten?

In der Videoserie, die der Tagesspiegel mit der Berliner Produktionsfirma Schuldenberg Films entwickelt hat, begibt sie sich auf die Suche nach einer Lösung für ihr Dilemma. Daeng, die das Restaurant The Panda Noodle in Kreuzberg betreibt, besucht in fünf Folgen verschiedene internationale Restaurants und Essensprofis in Berlin und lässt sich ihre Küchen zeigen. Dabei versucht sie, herauszufinden: Wie klimaschädlich ist welche Art zu Kochen wirklich? Kann man weit gereiste Zutaten für thailändische, afrikanische oder indische Gerichte durch regionale Zutaten ersetzen? Oder ist das vielleicht gar nicht nötig? Sie findet dabei ungewöhnliche Gerichte – und vielleicht auch ein bisschen etwas von Berlins Küchen der Zukunft.

In der ersten Folge trifft Daeng die Ernährungsökonomin Ann-Cathrin Beermann und zeigt ihre eigene Küche. Ihr könnt die Serie direkt hier oder auf Youtube ansehen.

Die Autorinnen und Autoren

Nina Breher
Produktion
Tamara Flemisch
Recherche & Grafiken
Helena Wittlich
Text & Recherche
Veröffentlicht am 8. Februar 2022.
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