Muss, soll, kann man Russland aus dem internationalen Zahlungssystem Swift ausschließen? Als die EU angesichts des eskalierenden Ukraine-Konflikts diese harsche Sanktion diskutierte, zauderte die deutsche Regierung länger als alle anderen. Das mag auch daran gelegen haben, dass viel auf dem Spiel steht. Schließlich importiert die Bundesrepublik aus keinem Land so viel Rohöl und -gas wie aus dem Staat, der derzeit einen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt.
Die Abhängigkeit ist gegenseitig; in kein Land exportiert Russland mehr Öl und Gas als nach Deutschland. Die Ukraine-Krise zeigt einmal mehr: Fossile Energie ist selten nur eine Ware. Im Konfliktfall werden Gas und Öl schnell zum Druckmittel.
Als größter Gas-Exporteur der Welt hat Russland in geopolitischen Konflikten gute Startbedingungen. Das verdeutlicht ein Blick auf die wichtigsten Pipelines, die russisches Erdöl und Erdgas in die Welt pumpen. Wie ein unsichtbares Netz durchziehen sie den Kontinent – und schreiben eigene Grenzen fest.
Pipelines sind Rohr-Fernleitungen, die Erdöl und Erdgas über weite Distanzen transportieren. Sie in den Boden einzugraben oder am Meeresgrund zu verlegen, ist teuer. Anschließend ist der Transport dann aber deutlich günstiger als per Schiff oder Lkw. Deswegen halten sie die Import-Preise oftmals niedriger.
Die großen russischen Erdgas-Pipelines tragen Namen wie Jamal oder Nord Stream. Auch die längste Öl-Pipeline der Welt beginnt in Russland: die Druschba. Sie führt von der Wolga nach Belarus, Polen, Tschechien, Deutschland und in die Ukraine. In diesen Tagen klingt ihr Name – auf Deutsch „Freundschaft“ – zynisch.
Das meiste von Russland exportierte Gas strömt in die EU – 70 Prozent. Beim Öl sind es 50 Prozent. 36 Prozent von Russlands Staatshaushalt stammte laut der Nachrichtenagentur Reuters 2021 aus Öl- und Gasverkäufen. Energie-Exporte sind zentral für Russlands Wirtschaft. Das heißt aber auch, dass die russische Wirtschaft von Energie-Export abhängig ist. Wenn Handelspartner wegfallen, müssen sie durch neue ersetzt werden, sonst leiden große Teile der Wirtschaft massiv. Zumal viele weitere Branchen direkt oder indirekt mit dem Energiesektor verbunden sind.
Während EU-weit Gasimporte aus Russland in den vergangenen zehn Jahren gesunken sind, sind sie in Deutschland sogar leicht gestiegen. Der russische Staat versorgt die Deutschen vor allem mit Gas zum Heizen und Öl zum Tanken. Das könnte sich bald ändern, nicht nur wegen dem vorläufigen Aus von Nordstream 2, sondern auch aufgrund möglicher Lieferstopps.
Laut Energiestatistik des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie decken russische Gasimporte 55 Prozent des Gasbedarfs in Deutschland und russische Ölimporte 35 Prozent. Der Rest kam 2020 vor allem aus Norwegen und den Niederlanden (Gas) beziehungsweise aus Norwegen, Großbritannien und den USA (Öl).
Die Karte zeigt aber nicht nur, dass viele der Pipelines aus Russland kommen. Sie zeigt auch, dass zwei der zentralen Versorgungsadern durch die Ukraine führen. Und das macht den Krieg für Russland und für Deutschland noch brisanter.
Noch 2018 floss fast die Hälfte des Gases auf seinem Weg nach Europa durch die Ukraine. Das geht aus einer Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung hervor. Das jetzt gestoppte Ostseepipeline-Projekt Nord Stream II von Gazprom hätte die Abhängigkeit Russlands von der Ukraine gemindert. Schon vor dem Kriegsausbruch bezeichnete der ukrainische Präsident Selenskyi die Pipeline im Sommer 2021 als „gefährliche politische Waffe“.
Mit Inbetriebnahme der Pipeline durch die Ostsee hätte die Ukraine als Transitland für russisches Gas an Bedeutung verloren. Das Projekt hat schon lange nicht nur die ukrainische Wirtschaft, sondern auch die ukrainische Sicherheit gefährdet. Wie real diese Bedrohung war, hat sich vielleicht erst in den vergangenen Tagen gezeigt.