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Corona in Großbritannien

15.000 Fälle gingen verloren – weil Behörden Excel benutzten

Ein Datenbankpatzer bringt die britischen Gesundheitsbehörden in Bedrängnis. Dabei steigen die Infektionen sowieso schon dramatisch an.
Ein Datenbankpatzer bringt die britischen Gesundheitsbehörden in Bedrängnis. Dabei steigen die Infektionen sowieso schon dramatisch an.
In der vollen Londoner U-Bahn ist Abstandhalten schwer. Foto: imago images/Parsons Media
Wegen der steigenden Infektionszahlen erinnern Schilder daran, eine Maske zu tragen. Foto: AFP/Oli Scarff

Fast 23.000 neue Fälle meldete das Vereinigte Königreich am 4. Oktober, mehr als viermal so viele Fälle wie auf dem Höhepunkt der ersten Welle Mitte April. In den Tagen darauf entfaltete sich eine leidenschaftliche Debatte um das Versagen der britischen Gesundheitsbehörden mit der Pandemie.

Und zwar nicht nur wegen der hohen Zahlen an sich. Es stellte sich heraus: Die hohe Fallzahl am 4. Oktober lag daran, dass zwischen dem 25. September und 2. Oktober insgesamt 15.841 Fälle zu wenig gemeldet worden waren. Die positiven Testergebnisse verschwanden auf dem Weg durch die Behörden. Laut dem Guardian war der Grund dafür ein Zeilenlimit von Microsoft Excel. Das Programm hat eine Begrenzung auf eine Höchstzahl von Tabellenzeilen. Und die war erreicht. Neue Fälle kamen nicht mehr vollständig dazu.

Das ist doppelt grotesk. Erstens, weil das Programm überhaupt nicht dafür gedacht ist, als Datenbank genutzt zu werden. Zweitens, weil der Fehler erst nach einigen Tagen bekannt wurde. Außerdem wurde durch die fehlenden Zahlen verdeckt, dass die Fallzahlen Tag um Tag rasant stiegen.

Es kam noch schlimmer. Anscheinend erfuhren dadurch die Menschen mit positiven Testergebnissen tagelang nichts davon, sodass sie unwissend weiter Menschen infizieren konnten. Aufgrund der schieren Masse hatten die Gesundheitsbehörden am 5. Oktober noch immer erst 51 Prozent der Infizierten erreicht, um nach ihren Kontaktpersonen zu fragen und diese zu informieren.

Handeln die Behörden fahrlässig?

Die Opposition wirft Boris Johnson und der verantwortlichen Vorsitzenden des nationalen Testprogramms Dido Harding nun vor, die versprochenen Systeme nicht rechtzeitig aufgebaut und fundamentale Teile des Systems privatisiert zu haben. Demnach kommen die Ergebnisse sowieso oft zu spät in den lokalen Behörden an, ein zentraler Überblick fehle.

Der Vorfall zeigt, wie sensibel schnelle Testergebnisse und Kontaktverfolgung sind. Seit dem Vorfall normalisiert sich die Zahl der Infizierten in UK kaum. Täglich werden weit über 10.000 Neuinfizierte vermeldet. Gemessen an der Bevölkerungszahl hat das Land damit innerhalb kürzester Zeit Frankreich und Spanien überholt.

Auch die Todesfälle ziehen bereits wieder an, wenngleich zeitversetzt und wesentlich langsamer als die Fallzahlen. In den Krankenhäusern könnten im stark betroffenen Nordengland bereits innerhalb der nächsten Woche die Betten knapp werden, warnte unter anderem Liverpools Director of Public Health Matt Ashton. Die Verdopplungszeit der Fälle liegt nun bei unter zehn Tagen.

Und die Testkapazität konnte bisher nicht auf die geplanten 500.000 Tests pro Tag ausgebaut werden und droht nun, bald ihre Grenzen zu erreichen. Noch mehr Datenbankprobleme kann sich das Land nicht leisten.

Die Autoren

Hendrik Lehmann
Text & Recherche
Eric Beltermann
Recherche & Datenvisualisierung
Helena Wittlich
Produktion
Veröffentlicht am 9. Oktober 2020.
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