Verkehrte Welt: Wer derzeit aus deutschen Risikogebieten wie Berlin oder Cloppenburg in den Herbsturlaub will, kann nach Belgien fahren, obwohl Corona dort noch fataler wütet. Nach Rügen ist der Weg aber versperrt – es gilt Einreiseverbot ohne negativen Test.
Dabei zeigen die Zahlen, dass es an der belgischen Nordsee ein viel höheres Ansteckungs-Risiko gibt als an der Ostsee. Und es wird noch verwirrender: Aus Berlin Einreisende müssen in Belgien in Quarantäne, die aus dem ebenfalls stark vom Virus betroffenen Cloppenburg aber nicht. Logisch ist das nicht, gegen die Pandemie helfen wird es auch kaum. Zeit für einen Überblick der Fallzahlen in allen Nachbarländer Deutschlands.
Wie wenig faktenbasiert das aktuelle System ist, zeigt der Vergleich Ostsee gegen Nordsee. In Mecklenburg-Vorpommern gab es in den vergangenen sieben Tagen relativ niedrige 15 Neuinfektionen pro 100.000 Menschen. In Belgien ist die Lage alarmierend. Dort waren es mehr als 27-mal so viele, weit über 400.
Das Königreich hat einen weiteren traurigen Rekord: In Belgien sind pro Kopf die drittmeisten Menschen weltweit mit dem Coronavirus gestorben. Mehr als achtmal so viele wie in der Bundesrepublik, mehr als in Schweden mit seiner weichen Virusstrategie, mehr als in Italien und Großbritannien. Die Todeszahlen sind aktuell noch weit unter dem Niveau des Frühjahrs. Aber sie steigen wieder an.
Trotzdem gilt für Reisewillige: Die Einreise nach Belgien ist grundsätzlich möglich. Für Berliner und Bremer folgt eine mindestens siebentägige Quarantäne, für Reisende aus anderen deutschen Risikogebieten nicht. Da Belgien selbst wiederum laut RKI als Risikogebiet gilt, ist nach der Rückreise hierzulande ein Test verpflichtend. Und eigentlich gilt zum Beispiel in Rheinland-Pfalz, dass man nach dem Aufenthalt in einem Risikogebiet nicht in Hotels übernachten darf. Allerdings wendet das Bundesland das Verbot aktuell nicht an. In anderen Ländern hatten Gerichte das Verbot aufgehoben, so auch in Berlins Nachbarland Brandenburg.
In Deutschlands östlichen Nachbarländern waren die Corona-Infektionszahlen lange erstaunlich niedrig. Das hat sich zuletzt jedoch ebenfalls gedreht. In Polen und Tschechien ist die zweite Welle, was bei uns die erste Welle war.
Der Anstieg ist zwar in beiden Staaten steil, in Tschechien sind die Zahlen aber deutlich höher. Das ganze Land gilt laut RKI derzeit als Risikogebiet. Trotzdem gilt auch hier: Deutsche dürfen einreisen.
„Die Lage bei unserem Nachbarn Tschechien ist so, dass wir bereits heute die ersten Fragen bekommen haben von der tschechischen Regierung, ob wir Patientenbetten zur Verfügung stellen würden“, sagte Markus Söder (CSU) am Donnerstag. Der Ministerpräsident sagte die Hilfe zu. Umso merkwürdiger, dass noch bis einschließlich Freitag Menschen aus innerdeutschen Risikogebieten nicht in Bayern beherbergt werden durften.
Wie ernst die Lage in Tschechien ist, zeigen auch dort die Todeszahlen. Sie sind pro Kopf gerechnet aktuell schon höher als sie in Deutschland während der ersten Welle waren. In Polen liegen sie derzeit noch niedriger, steigen aber schnell. Das deutet darauf hin, dass die östlichen Staaten mit ihren strengen Abschottungsstrategien zwar zuerst das Virus im Zaum hielten, jetzt aber das erleben, was in anderen Staaten im Frühjahr passierte.
Die westlichen Nachbarstaaten Belgien und die Niederlande haben im Frühjahr hohe Todesraten verzeichnet. Und jetzt steigen die Zahlen nicht nur wieder in Bergien, sondern auch in den Niederlanden.
Der niederländische Premier Mark Rutte reagierte auf die alarmierende Entwicklung mit einem teilweisen Lockdown: Cafés und Restaurants dürfen keine Gäste mehr bewirten, nur noch drei Gäste dürfen am Tag in privaten Wohnungen zu Besuch kommen. Und Alkoholverkauf ist nach 20 Uhr verboten.
Warum dürfen die Deutschen relativ frei ins Ausland reisen? Die Zahlen hierzulande sind schlicht niedriger als in allen Nachbarländern. Einzig Dänemark bildet die Ausnahme. Die Neuinfektionen pro Kopf sind dort zwar ähnlich hoch wie in Deutschland – aber sie haben eine erfreuliche Tendenz abwärts. Das nördliche Nachbarland hat den Anstieg gestoppt.
Das hat Dänemark geschafft, ohne außergewöhnlich streng zu werden. Die Maßnahmen sind ungefähr mit den deutschen vergleichbar: Im Nahverkehr gilt Maskenpflicht, es gibt umfassende Abstands- und Hygienekonzepte. Die Restaurants schließen um 22 Uhr, Clubs öffnen gar nicht. Dänemark als Ganzes schrappt gerade haarscharf am Grenzwert für Risikogebiete. Aber mit der aktuellen Entwicklung dürfte der Staat darunterbleiben. Trotzdem ist Urlaub in Dänemark riskanter als in Mecklenburg-Vorpommern. Umso absurder, wenn die deutschen Beschränkungen dazu führen, dass es einfacher ist, in ausländische Risikogebiete zu fahren, als Ferien in der Umgebung zu machen.